Brüssel: And the show goes on Foto: dpa

Extreme und Parodisten im neuen Europäischen Parlament: Als ob am linken und rechten Rand Europas nichts Dramatisches geschehen wäre, beginnt man in Brüssel wieder zu schachern, meint Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Das haben Deutschlands oberste Verfassungsrichter toll hingekriegt: Mit ihrem 5:3-Votum für die Einführung der Null-Prozent-Grenze bei der Europawahl ist es ihnen gelungen, dass Udo Voigt, der frühere NPD-Parteichef, in den kommenden fünf Jahren mit den mageren Stimmen von 300 000 Gestrigen für die deutschen Rechtsextremen im Straßburger Parlament über das Europa von morgen maulen kann.

Es lebe die Demokratie! Und auch die Satiretruppe „Die Partei“, die sich für die Einführung der Faulenquote, eine Million Euro Existenzminimum für jeden, Notabitur und ein Wahlalter zwischen zwölf und 52 einsetzt, kann sich demnächst im Europäischen Parlament tummeln. 

Sieben Parteien ziehen mit je einem Abgeordneten ins europäische Abgeordnetenhaus. Jämmerliche 0,6 Prozent der Stimmen – 184 525 von 29,3 Millionen gültigen Stimmen – reichten dafür aus. Ist das das Parlament, das die Bürger wollen? Das Europa braucht? Die politische Repräsentanz, die Martin Sonneborn, der Ex-Chef des Satiremagazins „Titanic“, so gekonnt durch den Kakao zu ziehen und bloßzustellen weiß, indem er – kaum gewählt – bereits den Rückzug nach einem Monat ankündigt?

Damit „60 Leute einen mit rund 33 000 Euro dotierten Monat in Brüssel und Straßburg verbringen können“? In der Tat: Das Bundesverfassungsgericht hat kräftig mitgeholfen, dass seine im Prinzip irrige Auffassung, das Europäische Parlament sei bestenfalls eine politisch zweitklassige Institution, salonfähig gemacht wird. Herzlichen Glückwunsch! 

Besonders bitter, weil nicht von der Hand zu weisen: Ernsthafte Analysten halten Sonneborns politische Parodie („Schwarzfahren muss bezahlbar bleiben“) für eine gelungene Systemkritik, weil es ihm gelinge, die Austauschbarkeit politischer Positionen und einen oft inhaltsleeren, in Phrasen erstarrten Polit-Prozess durch gelungene Null-Aussagen vorzuführen.

Wer die sonntägliche Wahlnacht miterleben musste, ahnt, dass dem Parodisten die Vorlagen nur so vor die Füße purzeln. Etwa wenn die SPD 2014 einen historischen Stimmenzuwachs bejubelt, ohne sich daran erinnern zu wollen, dass die Basis vor fünf Jahren ein gleichfalls historisches Stimmentief war.

Doch die Lage im neuen Parlament ist viel zu ernst, als dass man sie süffisant unter der Rubrik „ein Kessel Buntes“ ablegen könnte. Rund 20 Prozent der 751 Abgeordneten gehören rechtsgerichteten, populistischen, sprich: europakritischen oder -feindlichen Parteien an. Erdrutschsiege des Front National und der UKIP dürften den europäischen Regierungskurs in Frankreich und Großbritannien nicht gerade zum Wohle der EU beeinflussen.

Da wirkt es umso skurriler und ärgerlicher, dass die beiden stärksten, als treibende EU-Kräfte mehr denn je aufeinander angewiesenen Fraktionen von Konservativen und Sozialdemokraten nach ihren deutlichen Verlusten nichts anderes zu tun wissen, als über die Personalie des künftigen Kommissionspräsidenten zu zerfen. Schulz oder nicht Schulz – das ist hier die Frage. Wie ärmlich fällt diese selbstverliebte Debatte auf ein Parlament zurück, das sich eine zunehmende Bedeutung zuschreibt.

Als ob am linken und rechten Rand Europas nichts Dramatisches geschehen wäre, beginnt man in Brüssel wieder zu schachern. Der britische Konservative David Cameron will den konservativen Luxemburger Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker verhindern – und Europa schaut mal wieder auf die deutsche Kanzlerin. Die Brüsseler Karawane zieht also weiter. Ungerührt. Populisten, Rechtsextreme und Witzbolde im Schlepptau.

w.molitor@stn.zgs.de