Wer weniger als 60 Prozent vom mittleren Einkommen hat, gilt laut Statistik als armutsgefährdet. Foto: dpa

Die Daten vom boomenden Arbeitsmarkt sind besser geeignet als der amtliche Armutsbericht, um Aussagen über die Bedrohung der Gesellschaft durch Armut zu treffen. Es kommentiert Markus Grabitz.

Berlin - Die Wortführer der Sozialstaatslobby zeigen sich sehr betroffen angesichts der Zahlen zur Armutsgefährdung, die das Statistische Bundesamt veröffentlicht. Danach ist nämlich – ausweislich der Zahlen der Statistiker – ein prozentual größerer Anteil der Bevölkerung von Armut bedroht als noch vor einigen Jahren.

Doch mit der Statistik ist das so eine Sache. Das fängt schon damit an, dass Armut relativ ist: Arme in Deutschland haben im Vergleich zu Armen in Äthiopien ein ordentliches Auskommen. Für die Experten sind Menschen deswegen hierzulande von Armut bedroht, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Was aber, wenn sich – wie hierzulande seit Jahren – die Beschäftigten über kräftige Reallohnsteigerungen freuen dürfen? Was, wenn – wie hierzulande seit Jahren – die Hartz-IV-Sätze zwar steigen, aber die Löhne noch mehr?

Tatsächlich ist das Elend nicht größer geworden

Dann steigt nach den Gesetzen der Statistik der Anteil der Menschen, die von Armut bedroht sind. Tatsächlich aber ist das Elend keineswegs größer geworden. Denn die Hartz-IV-Sätze werden eben nicht bei Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt, sondern staatlich festgesetzt. Sie bemessen sich an den tatsächlichen materiellen Ansprüchen und an der tatsächlichen Preisentwicklung.

Dieses staatlich garantierte Existenzminimum wird vom Verfassungsgericht regelmäßig überprüft. Anders ausgedrückt: Die Beschäftigten bekommen in diesen konjunkturell guten Zeiten etwas mehr vom Kuchen ab, und die Hartz-IV-Empfänger nicht. Dies ist weder ungerecht noch ein Hinweis auf eine unsolidarische Gesellschaft, die ihre „Armen“ vergisst oder vernachlässigt. Wenn die Wirtschaft wieder schlechter läuft, ist es durchaus denkbar, dass die Beschäftigten Lohneinbußen hinnehmen müssen, während Hartz-IV-Empfänger mehr Geld bekommen, weil die Preise gestiegen sind.

Auch dies zeigt, dass die Statistik mit Vorsicht zu genießen ist: Bedroht ist, wer allein lebt und weniger als 917 Euro im Monat hat. Diese Sichtweise unterschlägt, dass die Lebenshaltungskosten regional unterschiedlich sind. In Brandenburg kann man mit 917 Euro im Monat besser leben als in München. In ländlichen Regionen im Osten sind Löhne, die in Metropolen wie Stuttgart und Frankfurt Armutslöhne wären, zwar am unteren Rand, aber eben nicht ärmlich. All dies blendet die offizielle Armutsstatistik aus.

Reguläre Jobs auf dem Vormarsch

Eine etwas klarere Botschaft zum wirtschaftlichen Wohlergehen als der sogenannte Armutsbericht sprechen die Zahlen vom Arbeitsmarkt. Seit Einführung von Hartz IV hat sich die Zahl der Arbeitslosen hierzulande halbiert. Und entgegen aller Propaganda sinkt seit Jahren der Anteil der „atypischen Beschäftigungsverhältnisse“, also Minijobs, befristete Arbeit und Zeitarbeit: Das Normalarbeitsverhältnis ist eben alles andere als ein Auslaufmodell, sondern auf dem Vormarsch. 2014 stieg die Zahl der regulären Jobs um 452 000 auf 24,5 Millionen. Die Zahl der „atypischen“ Jobs nahm dagegen um 132 000 auf 7,5 Millionen (das sind 20,9 Prozent) ab.

Warum aber wollen der Paritätische Wohlfahrtsverband, der VdK und manche Sozialpolitiker diese guten Nachrichten nicht transportieren? Die Antwort liegt auf der Hand: Die gut organisierte Wohlfahrtslobby lebt von den negativen Botschaften gut. Sie sind Teil ihrer Existenzberechtigung. Für sie wäre es eine Schlappe, wenn die sozialen Verhältnisse im Land besser würden. Staat und Sozialkassen geben jedes Jahr 800 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Das ist eine Menge Geld. Einfach nur nach mehr Geld zu rufen, scheint da zu billig.