Hauptsache, ein neues Gesetz: Bundesfamilienministerin Schwesig will die Unternehmen zur Offenlegung von Gehältern zwingen – und argumentiert dabei mit einer Zahl, die null Bedeutung hat Foto: dpa

Schwarzmalen nach Zahlen – das kann die Politik gut. Jüngstes Beispiel sind die 21 Prozent, die Männer im Schnitt mehr verdienen als Frauen. Eine Zahl, die null Bedeutung hat, aber für ein neues Gesetz herhalten muss.

Stuttgart - 430 000 Europäer sterben jährlich an Feinstaub. 10 000 fallen dem Lärm zum Opfer und 16 000 dem Ozon. Deshalb sind weitere Maßnahmen gegen Feinstaub, Lärm und Ozon zwingend notwendig. Oder etwa nicht? Nun ja, die Zahlen sind aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur (EUA). Wie jede Umweltbehörde hat sie ein Interesse daran, die Folgen der Umweltbelastung in möglichst düsteren Farben zu malen – allein schon, um ihre Existenz zu rechtfertigen.

Außerdem kann kein Mensch wirklich wissen, wie viele Europäer jedes Jahr vorzeitig wegen Feinstaubs, Lärms oder Ozon sterben. Das alles sind Berechnungen oder Schätzungen. Da wird zunächst einmal ein erhöhtes Sterberisiko angenommen und dann mit einer Millionenbevölkerung multipliziert. So kommt man problemlos auf gewaltige Zahlen. Und gewaltige Zahlen braucht die Politik heutzutage, um ihre wachsende Regelungswut zu rechtfertigen.

Man könnte auch einfach sagen: Feinstaub kann krank machen. Aber das hätte nicht die gleiche Wirkung. Eine Zahl gilt als seriös – egal, wie gegriffen sie auch sein mag. Und je öfter eine Zahl genannt wird, umso unangreifbarer scheint sie zu werden. Sie beginnt, ein Eigenleben zu entwickeln, und löst sich vom eigentlichen Problem. Womit wir bei der Lohnlücke zwischen Mann und Frau wären.

Kein Skandal, nirgends

Seit Jahren wird gebetsmühlenhaft beklagt, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Seit 2008 gibt es dazu sogar jedes Jahr einen internationalen Gedenktag, den Equal Pay Day. Und natürlich gibt es jedes Jahr eine Zahl dazu. Im Moment sind es in Deutschland 21 Prozent, die Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer. Diese Lücke wird skandalisiert, obwohl sie sich fast lückenlos erklären lässt. Sie hat zu 99 Prozent nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit den unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Männern und Frauen. Frauen arbeiten im Schnitt öfter Teilzeit, ergreifen öfter schlecht bezahlte Berufe, streben seltener Führungsposten an, verhandeln nicht so hart beim Gehalt und legen eine Karrierepause wegen der Kinder ein. Das ist es weitgehend. Kein Skandal, nirgends.

Dessen ungeachtet trägt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gerade die Zahl 21 wie ein Beweisstück vor sich her. Sie will damit ein Gesetz durchboxen, dass die Unternehmen zur Offenlegung von Gehältern verpflichtet. Dazu sei sie verpflichtet, sagt sie, wegen der Zahl 21. Dass diese Zahl null Bedeutung hat, ficht sie nicht an. „Nur weil man die Lohnlücke erklären kann, heißt das noch nicht, dass man sie akzeptieren muss“, sagt sie.

Ein entlarvender Satz, der einer Aussage der Verdi-Funktionärin Leni Breymaier ähnelt, die im Herbst voraussichtlich den SPD-Landesvorsitz in Baden-Württemberg übernehmen wird. „Ich habe eine klare Vorstellung, wie die Welt zu funktionieren hat“, lobte sie sich bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur. So ist sie wieder geworden, die SPD: anmaßend und bevormundend. Und dann wundert sie sich, dass kaum einer sie mehr wählt.

Noch mehr Bürokratie

Noch wehrt sich die Union gegen Schwesigs Pläne im Detail, hat dem Vorhaben aber bereits grundsätzlich im Koalitionsvertrag zugestimmt. Unter Merkel ist eben auch die CDU für politischen Aktionismus immer empfänglicher geworden. Und so wird es wohl bald eine weitere Vorschrift für Unternehmen geben. Im Gegenzug dürfen die dann am Ende der Legislaturperiode in einer Verlautbarung lesen, in welchem Umfang die Bundesregierung sie angeblich von bürokratischen Zwängen entlastet hat. Man darf wetten: Die Zahl wird gewaltig sein.

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de