Zeigt das IOC Flagge und sperrt das russische Team von den Olympischen Sommerspielen aus? Foto: dpa

Das muss sich der Sportsfreund einmal vorstellen: Der russische Geheimdienst verschleiert Doping-Proben von Sportlern. Wie tief kann der Sport eigentlich noch sinken, fragt Gunter Barner.

Stuttgart - Sollten die Herren der Ringe noch einen Funken Anstand haben, dann bestehen sie vom 5. bis 21. August in Rio auf eine Einblendung am Bildschirmrand: „Sie sehen eine Veranstaltung des brasilianischen Karnevalverbands unter dem völkerverbindenden Motto: Alles nur Theater! Wir danken für die freundliche Unterstützung des Internationalen Olympischen Komitees, der weltweiten Pharma-Industrie und der Experten der Mafia. Die Sendung ist nicht dopingfrei und für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet. Korruption, Wettmanipulation und Filz unter Funktionären können keinesfalls ausgeschlossen werden. Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit den Werten und Idealen der originalen Olympischen Spiele sind rein zufällig!“

Denn wenn es stimmt, was der einstmals amtlich bestellte russische Giftmischer Grigorij Rodtschenkow dieser Tage enthüllte, dann hat der internationale Sport ein Problem, das dicker ist als die Mauer des Moskauer Kreml. Nicht nur, dass russische Athleten seit Jahren aufgepumpt wie Popeye um Medaillen kämpfen, es spricht einiges dafür, dass Putin und Konsorten gut organisiert die Hand über ein System aus Lug und Trug gehalten haben. Wie tief kann der Sport eigentlich noch sinken? Mitarbeiter des russischen Inlandgeheimdienstes FSB gingen im vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) akkreditierten Dopinglabor in Sotschi offenbar ein und aus, als hätten sie nur mal die Papierkörbe zu leeren. Nebenbei tauschten sie über die Jahre 1417 Urinproben aus, noch ehe sie analysiert werden konnten. Im November 2015 flog das Staatsdoping auf, Rodtschenkow machte sich im Januar aus dem Staub in die USA, kurz darauf starben ziemlich überraschend zwei seiner engsten Mitarbeiter.

Die Ideen von Thomas Bach

Die roten Flecken in den Gesichtern der Gralshüter vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) werden mit jeder neuen Enthüllung größer. Und Thomas Bach, der krisenerprobte Präsident, produziert im Tagesrhythmus Ideen, wie er die verstörte Welt des Spitzensports besänftigen könnte. Eilig wurden Nachtests von gelagerten Proben der Sommerspiele 2008 in Peking und London 2012 verkündet, um Dopingsünder wenigstens den neuerlichen Zugang zum größten Sport-Spektakel zu verwehren. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ermittelt seit vergangenen Herbst, als die Methoden der russischen Tuning-Werkstätten ruchbar wurden. Die Leichtathleten aus Putins großem Reich zog der Weltverband aus dem Verkehr. Die Arbeit der russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada) übernahmen Kollegen aus Großbritannien, die bereits darüber klagen, dass ihnen allerorten Steine in den Weg gelegt werden. Die neueste Schikane: Russische Athleten trainieren in militärischen Sperrzonen – Zutritt verboten!

Nur der Staat kann noch helfen

Immer lauter werden die Stimmen, die den Ausschluss russischer Leichtathleten von den Sommerspielen in Rio fordern. Etliche Sportler und Funktionäre verlangen vom IOC sogar, der kompletten Olympiamannschaft in Rio die Rote Karte zu zeigen. Aber sind Kollektivstrafen das passende Signal? Die zwangsläufigen (sport)-politischen Verwicklungen fürchtet Thomas Bach jedenfalls mehr als der Dopingsünder den Kontrolleur. Klar ist nur: So lange wirtschaftliche Interessen den internationalen Spitzensport dominieren, so lange autoritäre Staaten den Sport als Propaganda-Instrument missbrauchen dürfen und korrupte Funktionäre sich an ihm bedienen, sind alle Maßnahmen nur Symptom-Kuriererei. Die Selbstheilungskräfte und Kontrollinstanzen des Sports sind den kriminellen Energien derer, die sich seiner bemächtigen, nicht mehr gewachsen. Der Staat wird ihn wieder einmal schützen müssen. Die US-Justiz ermittelt angeblich schon.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de