Anhänger des Pegida-Bündnisses (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) demonstrieren in Dresden gegen die angebliche Überfremdung durch Flüchtlinge und halten ein Kreuz in den Landesfarben schwarz-rot-gold in die Höhe. Foto: dpa

Auch wenn Pegida schweigt und beredtes Schweigen in der Bewegung zum aufrührerischen Kult wird – die Politik darf sich nicht zurückziehen, meint Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Bloß nicht zuhören. Bloß nicht miteinander reden. Bloß nicht. Die Pegida-Organisatoren, etliche von ihnen nicht nur politisch im Zwielicht, verweigern das Gespräch, machen ihr beredtes Schweigen zum aufrührerischen Kult, lassen bösen Vorurteilen wie diffusen Ängsten freien Lauf. Das mag politisches Kalkül sein. Schließlich dürften sie sich in der Diskussion mit Fakten konfrontiert sehen, die ihre Parolen pulverisierten. Müssten Übertreibungen und Winkelzüge zugeben, die den Grund ihres Protests gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes in den Grundfesten erschütterten. Das mag man verurteilen, aber man muss deswegen nicht zornig sein. Fehlt es den Pegida-Anstiftern nicht ohnehin an demokratischer Legitimation, stellvertretend für andere, gar für mehr das Wort zu führen?

Da stehen die politischen Parteien in einer ganz anderen Verantwortung. Doch auch sie fliehen überwiegend ins Schweigen, und wenn sie sprechen, dann markig von einer Schande für Deutschland. Sie verunglimpfen – wie Grünen-Chef Cem Özdemir – Aufrufe zum Dialog als weinerliches Gesülze, verwechseln aufrechte Haltung mit floskelhaftem Erstarren. Nein, auch die politische Elite will nicht zuhören. Das Milieu Juste gefällt sich in gemeinsamer Abscheu und Stigmatisierung – und hält jene, in der Tat bei weitem überzogen wirkenden, nicht selten mit rechtsextremen Worthülsen befeuerten Alltagssorgen von Bürgern für unwahr, weil sie nicht wahr sein dürfen.

Aber sie machen es sich zu leicht und werden so ihrer gesellschaftlichen Verankerung nicht gerecht. Eine aktuelle Allensbach-Studie zu Einstellungen, Lebenslagen und Zukunftserwartungen unter 1100 West- und 1500 Ostdeutschen zeigt: Die überkochenden Sorgen vor Überfremdung haben mit Patriotismus wenig, mit der Angst vor einer zunehmenden Kriminalität, unsicheren Renten und der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich dagegen sehr viel zu tun. Immer mehr Menschen machen, zunehmend ratlos und frustriert, um die aktive politische Mitgestaltung einen weiten Bogen. Warum sollten sie mit Parteien reden, wenn diese mit ihnen ja auch nicht dauerhaft kommunizieren, und wenn doch, dann unbelehrbar belehrend und sprachlich von oben herab?

Diese Entwicklung ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung spricht von einer sozial gespaltenen Wahlbeteiligung, bei der sich ein immer größer werdender Teil der sozial schwächeren Schichten von der Politik abwendet. Beispiel Europa- und Bundestagswahl. Dort lag die Wahlbeteiligung in sozial prekären Großstadtvierteln deutlich niedriger als in sozial bessergestellten Stadtteilen. Die Studie kommt zu dem Schluss: Eine niedrige Wahlbeteiligung ist immer zugleich eine sozial ungleiche Wahlbeteiligung – verbunden mit dem Risiko, dass aus einer sozialen auch eine politische Ungleichheit wird, die die Distanziertheit und Unzufriedenheit vor allem der sozial schwächeren Wahlbevölkerung verschärft. Nicht nur am Rand, auch in der Mitte.

Deutschland steckt in der Nichtwahl-Spirale. Viele fühlen sich von den etablierten Parteien gerade dann entweder allein gelassen oder bevormundet, wenn sich die Folgen der großen Politik vor der kleinen Haustür zeigen. Folglich zeigen laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You Gov mittlerweile 49 Prozent der Bundesbürger für die Pegida-Aufmärsche Verständnis. Deshalb darf es die Politik Bewegungen wie Pegida nicht durchgehen lassen, auf Fragen zu schweigen. Dürfen es kritische Medien nicht hinnehmen, Lügenpack geschimpft zu werden. Bloß nicht reden, nicht zuhören? Das kann es für alle doch nicht sein.