Die Feinstaubwerte an Stuttgarts Durchgangsstraßen sind zu hoch Foto: dpa

Krebserregender Feinstaub aus dem Auspuff? Gesundheitsschädliche Stickoxide? Alles kein Problem. Ein Knopfdruck am Armaturenbrett, und die Chose ist erledigt, der Dienstwagen rolle dann schadstofffrei durch die Innenstadt, bekannte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Krebserregender Feinstaub aus dem Auspuff? Gesundheitsschädliche Stickoxide? Alles kein Problem. Ein Knopfdruck am Armaturenbrett, und die Chose ist erledigt, der Dienstwagen rolle dann schadstofffrei durch die Innenstadt, bekannte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag nach dem Stuttgarter Mobilitätsgipfel.

Kretschmann fährt Mercedes. Einen Plug-in-Hybrid, bei dem die Batterie Ökostrom an der Steckdose zapft und der Elektromotor bis zu 30 Kilometer schafft. Eine C-Klasse mit dieser Technik kostet 50 000 statt 41 000, eine gewichtigen S-Klasse 110 000 statt 90 500 Euro. Der Knopfdruck, der das lokale Umweltproblem löst, ist leider nicht in jedem der 292 500 allein in Stuttgart zugelassenen Fahrzeuge möglich. Wahrscheinlich noch nicht mal in 500. Die Lösung, die Kretschmann beschrieben hat, ist also keine.

Es gibt andere, die einen größeren Kraftakt erfordern als den Tastendruck. Kretschmanns Parteikollege Winfried Hermann, der am Dienstag neben dem Regierungschef saß, hat sie aufgezeigt. Der Verkehrsminister hat wechselweise Fahrverbote für Autos mit geradem, dann ungeradem Kennzeichen und eine neue blaue Plakette angekündigt, die nur noch neueste Abgastechnik in den Kessel rollen lassen soll. Dafür wurde er von seinem Vorgesetzten öffentlichen demontiert. Angeblich gibt es bei denen Grünen keine Denkverbote. Beim Thema Umwelt- und Gesundheitsschutz und Fahrverbote nun doch?

Auch Stuttgarts OB Fritz Kuhn will das böse F-Wort streichen. Automobilindustrie und Wirtschaft lobte er im Interview mit unserer Zeitung in so hohen Tönen, dass ihn die Stuttgarter CDU am Freitag vereinnahmte. Kuhn bewege sich mit seinem Ansatz, bei den Autofahrern auf Freiwilligkeit zu setzen, „auf der verkehrs- und umweltpolitischen Linie der CDU“. Kuhn müsse seine Linie „zukunftsgerichteter Mobilitätspolitik gegen Minister Hermann kraftvoll verteidigen“, riet Fraktionschef Alexander Kotz dem OB bei der entscheidenden Besprechung am Montag zur Betonhaltung.

Wenn Kuhn am Montag als Sieger vom Platz gehen sollte, dann hätte der Umwelt- und Gesundheitsschutz in Stuttgart verloren. Seit zehn Jahren werden Grenzwerte nicht eingehalten. Kuhns Ansatz völliger Freiwilligkeit mag der schlechten Erfahrungen der Grünen in der Veggie-Day-Debatte und der Sorge um das Abschneiden bei der Landtagswahl geschuldet sein. Er passt aber nicht zu einem OB, der in seinen Konzepten ansonsten für sich in Anspruch nimmt, auch alle Konsequenzen zu bedenken.

Ohne klaren Rahmen und ohne verbindliche Verbotsandrohung geschieht beim Thema Umwelt- und Gesundheitsschutz in der Regel wenig bis gar nichts. Dafür gibt es genügend Beispiele, von der Einführung des Sicherheitsgurts über bleifreies Benzin bis zu geregelten Katalysatoren. Hermanns Wechselkennzeichen-Idee, die Ende 2017 greifen soll, kann den von Kuhn propagierten Bewusstseinswandel tatsächlich auslösen. Bei den Autofahrern und bei den Herstellern, die noch bessere Technik liefern können. Die Zeit ist reif dafür.