Die Gräben werden – leider – tiefer, obwohl das Land gut dasteht Foto: Getty

Die Gräben werden – leider – tiefer, obwohl das Land gut dasteht. Abrüstung täte den Debatten um die Zukunft Deutschlands gut, findet unser Kommentator Christoph Reisinger

Stuttgart - Manche schnauben auf, wenn jemand feststellt, dass der ursprünglich arabische Islam zu Deutschland gehört. Ähnlich wie das in seiner heutigen Form ursprünglich englische Fußballspiel oder eine ursprünglich italienische Art zu kochen. Andere gehen nicht mehr wählen, verachten die parlamentarische Demokratie, sind gegen technischen Fortschritt, gegen die Nato, ein Freihandelsabkommen mit Amerika, gegen die Qualitätsmedien. Alles Spinner, alles Verirrte? Sicher nicht.

Viele bleiben zwar zu Hause, wenn selbst ernannte Abendlandretter zur Demo rufen, sehen aber ihren Nerv getroffen. Nach dem Motto: Endlich sagt’s einer. Wieder andere verehren den russischen Präsidenten Wladimir Putin, einen Nationalisten, der in Osteuropa Land erobert. Alles Rechtsradikale, Militaristen oder tumbe Deutschtümler? Sicher nicht.

Auf der anderen Seite: die Deutschen, die Zuwanderung als Chance begreifen, Vielfalt als Gewinn. Die sich selber in der Fremde sicher bewegen. Und mühelos zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland enorm davon profitiert, dass es offen und seine Wirtschaft weltweit mit der anderer Nationen verwoben ist. Alles Dumme, Naive oder Gutmenschen? Sicher nicht.

Im Grunde wissen das die einen wie die anderen, jedenfalls die allermeisten. Dennoch verschärfen sich die gesellschaftlichen Debatten in Deutschland wie seit den Zeiten von Nato-Doppelbeschluss oder Apo nicht mehr. Oder sie werden einseitig, weil sich riesige Zirkel Gleichgesinnter ausklinken und es sich an digitalen Lagerfeuern gemütlich machen, um sich dort gegen Andersdenkende abzuschotten. Die Gräben werden – leider – tiefer, obwohl das Land gut dasteht.

Ursache ist ein großes, wachsendes Unbehagen an der offenen Gesellschaft. Es breitet sich aus, weil der Preis dafür, in einer offenen, freien Gesellschaft zu leben, neue Höhen erreicht. Nicht nur, wenn sich Jecken aus Furcht vor Fanatikern im Karneval die Satire verbeißen. Außerdem stößt die offene Gesellschaft zunehmend an Grenzen. Weil Kriege und Flüchtlinge von außen näher rücken, weil Erspartes und Renten so sicher nicht sind, wie manche weismachen wollen.

Die einen reagieren darauf mit dem Gefühl, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, jeden Einfluss auf den Gang der Dinge zu verlieren. Sie reagieren gereizt. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen, wohl aber die unzulässige Vergröberung bei der Betrachtung dessen, was ist. Da wird ein Putin zum Vorbild, die EU zum Zerrbild, der brave muslimische Arbeitskollege zum verkappten IS-Killer. Da werden die vielen, überaus hässlichen Gegenentwürfe zur offenen Gesellschaft, die man weltweit besichtigen kann, einfach ignoriert.

Die anderen verschärfen die Tonlage gegenüber den Verunsicherten. In dem noblen Bemühen zwar, die Freiheit, auch die Freiheit zur Vielfalt zu verteidigen, aber ihrerseits vergröbernd und ungerecht. Selbstverständlich stimmt es, dass manch unverzichtbarer Berufszweig ohne Zuwanderung keine Zukunft hätte. Aber wahr ist halt auch, dass es bestimmte Formen von Kriminalität ohne Zuwanderung hier in diesem Maß nicht gäbe.

Weil die Wahrheit also komplizierter ist, als man sie sich gerne macht, täten Besinnung und Abrüstung gut in den Auseinandersetzungen darüber, wie es weitergehen soll in Deutschland. Auseinandersetzungen, die sein müssen angesichts der schnellen Veränderungen.

Mit dem früheren Stuttgarter Oberbürgermeister und Großmeister der Integration Manfred Rommel ist es da am besten gesagt: Haltet auch ein wenig zusammen.

c.reisinger@stn.zgs.de