Griechen stehen in Athen an einem Geldautomaten um Geld an Foto: ANA-MPA

In der Griechenlandkrise steht mehr auf dem Spiel als Milliarden, sagt unser Kommentator Klaus Köster.

Stuttgart - Was werden die Menschen in einigen Jahren über diese letzten Tage im Juni 2015 sagen, in denen die EU und ihre Mitgliedstaaten über das Schicksal Griechenlands entscheiden? Werden sie sagen, dass sich Sturköpfe auf beiden Seiten im Kleinkrieg um Steuersätze verzettelt und bei ihrer historischen Aufgabe versagt haben? Oder werden sie sagen, dass ein Albtraum beendet wurde, in dem die Regierung eines kleinen Landes beinahe die EU aus ihrer Verankerung gerissen hätte? Welche Lesart einmal dominieren wird, hängt sicher auch von den Spätfolgen dessen ab, was in diesen Tagen geschieht, in denen die Dramatik auf den Siedepunkt zusteuert. Gerät das Gebäude der Euro-Zone wirklich ins Wanken, falls der Stein Griechenland herausgebrochen werden sollte? Man weiß es nicht – nur eines steht fest: Würde sich die Einschätzung durchsetzen, dass kleinkarierte EU-Bürokraten das Schicksal Griechenlands besiegelt hätten, widerspräche dies allem, was man heute über die Krise weiß.

Hunderte von Milliarden sind seit 2010 an das kleine Land geflossen – obwohl die Statuten dies verbieten. Mehr noch: Die EU ließ zu, dass das Geld nicht etwa genutzt wurde, um Investitionen in Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu fördern, sondern um weiter über die Verhältnisse leben zu können. Noch schlimmer als der fast sichere Verlust dieser Milliarden wiegt der moralische Verlust: Die EU ist ihrer Idee nach ein Bund von Staaten, die eine gemeinsame Verantwortung tragen. Doch mit ihrer Rettungspolitik verriet sie ihre eigenen Prinzipien. Denn Regierungen, die diese Verantwortung ablehnten und ihre Länder in Schieflage brachten, wurden immer wieder belohnt. Ein fatales Signal.

Nun sieht sich die EU mit Regierungschef Alexis Tsipras und Finanzminister Gianis Varoufakis zwei Politikern gegenüber, die sich in ihrer Verweigerungshaltung demokratisch legitimiert sehen – verdanken sie ihren Wahlsieg doch Versprechungen, die nur die EU bezahlen könnte. Doch diesmal geht die Rechnung nicht mehr auf, weil ein Einknicken der EU eine Einladung an populistische Parteien in ganz Europa wäre, es der griechischen Syriza gleichzutun. Menschen mit Größe wachsen in entscheidenden Situation über sich hinaus – Tsipras und Varoufakis dagegen spielen mit der EU Katz und Maus, als ginge es um ein Experiment in Varoufakis’ wissenschaftlicher Spieltheorie. Lieber lassen sie sich zu Hause als Widerstandskämpfer feiern, als einen Ausweg für ihr Land zu suchen.

Doch glücklicherweise sind die Bürger meist klüger, als die Politik annimmt. Jeder Euro, den die Griechen in diesen Tagen zusätzlich abheben, ist ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Tsipras; und eine neue Umfrage zeigt, dass inzwischen weit mehr Menschen für eine Einigung mit der EU sind als dagegen. Nichts erscheint in diesen Tagen mehr ausgeschlossen – nicht einmal ein Verbleib der Griechen im Euro. Doch dieser wäre nicht das Ende des mühsamen Kampfs, sondern erst dessen Anfang. Ein langer Weg steht aber nicht nur Griechenland bevor, sondern auch der EU, die sich eindringlich fragen muss, wie sich die Wiederholung eines solchen Desasters ein für alle Mal ausschließen lässt.