Bis Ende des Jahres dürften rund 220 000 Menschen nach Deutschland geflohen sein Foto: dpa

Die Planer von Unterkünften sollten frühzeitig mit Anwohnern sprechen, damit sich diese nicht in die Ecke gedrängt und bevormundet fühlen. Sonst entstehen Ängste, die vermeidbar sind.

Stuttgart - Es ist eine Szene, die mehr über Flüchtlingspolitik aussagt als jedes Positionspapier und die in jedem Saal einer deutschen Gemeinde spielen könnte: Anwohner füllen den Raum, vorne aufgereiht nebeneinander sitzen die Entscheider; Vertreter von Stadt, Kirche und Verbänden. Es gilt, über das neue Flüchtlingsheim zu sprechen, das in der Nachbarschaft geplant wird. Der Vorwurf der Anwohner: Sie seien zu spät über das Projekt informiert worden. Sie fühlen sich bevormundet, nicht in die Entscheidung eingebunden, in die Ecke gedrängt.

Die Szene in Stuttgart-Birkach zeigt im Kleinen: Flüchtlingspolitik muss immer eine Politik des Miteinander-Sprechens sein. Wer das missachtet, der schürt Ängste, Ressentiments und Vorurteile. Und in vielen Fällen wollen die Menschen – nur verständlich – durchaus sprechen: Wirkt sich die Unterkunft auf den Wert des Eigenheims aus, verändert sich das Zusammenleben?

Sicher, es wird sich verändern. Es muss klar sein, dass viele der Schutzsuchenden nicht nur Asyl im ursprünglichen Sinne suchen, also eine zeitlich beschränkte Unterkunft. Sondern auf längere Sicht hier leben, oft für immer. Als Handwerker, Lehrer, Ärzte. Das sollte im Blick behalten, wer aus einem Affekt heraus über Zugezogene urteilt. Ohnehin sollte der Tonfall nüchtern bleiben. Machbarkeitsstudien, Bebauungsplanänderung, Flächennutzungspläne. Das ist die kühle Sprache, die trotz der schrecklichen Schicksale für die Diskussion zunächst angemessen scheint. Eine Sprache, die für pragmatische Lösungen steht.

Stuttgart steht im Vergleich zu anderen Städten wie Berlin fast wie ein Musterschüler da. Es zeigt, dass eine kluge Planung, die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge, keine einfache Aufgabe ist. Dass sie aber chaotische Zustände verhindert, wie in einer Berliner Schule. Dort verhinderte die Grünen-Bezirksbürgermeisterin eine Räumung des Heims, um den Menschen ihre Eigenständigkeit zu lassen. Kurz darauf kam es zu einer Messerstecherei, ein Mensch starb. Flüchtlingspolitik sollte nicht auf der Anmaßung einer höheren Moral von Amtsträgern beruhen – damit ist keinem geholfen.

Um solche Vorfälle zu verhindern, muss die Stadt die Zugezogenen weiter über das gesamte Gebiet verteilen. Es ist richtig, bei der Suche auch Gewerbegebiete miteinzubeziehen. Zumindest vorübergehend. Zahlen helfen, zeigen, dass die Aufgabe zwar groß, nicht aber unmöglich ist. Bis Ende des Jahres dürften rund 220 000 Menschen nach Deutschland geflohen sein. In den 90er Jahren waren es mehr als eine halbe Million. In Stuttgart leben derzeit 2200 Flüchtlinge, damals waren es mehr als 7000. Zahlen können helfen, einen kühlen Kopf zu bewahren.