Bislang war die Halbleiter-Produktion in Reutlingen die größte Einzelinvestition von Bosch. Foto: dpa

Bosch investiert in Sachsen. Das ist gut so. Ein innerdeutscher Konkurrenzkampf wäre provinziell, kommentiert Wirtschaftsredakteurin Anne Guhlich.

Stuttgart - Der Technologiekonzern Bosch und seine Mitarbeiter können gute Nachrichten gerade gut gebrauchen. Dominiert derzeit doch die Rolle, die der Zulieferer beim Abgasskandal spielt, die öffentliche Wahrnehmung. Als das „Herz des Dieselskandals“ bezeichnen US-Anwälte den schwäbischen Konzern theatralisch.

Ob dieses wichtigste aller Organe in der bildreichen Sprache der Juristen tatsächlich am ehesten für die Aktivitäten Boschs bei der Manipulation von Abgaswerten steht, werden die Gerichte klären. Doch klar ist: Die Auswirkungen der Dieselkrise sind für die Bosch-Mitarbeiter heute schon real. Weil die Nachfrage nach Dieselautos in Europa immer weiter sinkt, geistert an den Dieselstandorten das Schreckgespenst Stellenabbau umher.

Da trifft es sich gut, dass Bosch nun tatsächlich mit einer guten Nachricht aufwarten kann: Bis Ende 2019 will der Konzern eine milliardenschwere Produktion für Halbleiter-Chips aufbauen und Hunderte neuer Arbeitsplätze schaffen. Dies als eine unmittelbare Reaktion auf die Dieselkrise zu interpretieren wäre freilich zu kurz gedacht. Bereits mit dem Aufbau der Chiproduktion in Reutlingen unter Franz Fehrenbach, dem Vorgänger des heutigen Bosch-Chefs Volkmar Denner, wurde das Fundament jener Strategie gebaut, die sich jetzt auszahlt.

Das Zauberwort in Boschs Strategie lautet Vernetzung

Vernetzung lautet das Zauberwort. Angefangen von der Zahnbürste über den Kühlschrank, den Rasenmäher bis hin zum Roboterauto arbeitet Bosch an einer Welt, in der alle Dinge des täglichen Lebens über das Internet miteinander kommunizieren können. Das geht auch ohne den Diesel, aber nicht ohne die Halbleitertechnologie. Die Mikrochips sind als eine Art zentrales Nervensystem für alle elektronischen Systeme zu verstehen. Mit dem Siegeszug des sogenannten Internets der Dinge und dem Voranschreiten der Technologie fürs autonome Fahren steigert sich der Bedarf nach Chips, und für Bosch ergeben sich neue Wachstumschancen – und mehr Unabhängigkeit von auslaufenden Technologien.

Eine gute Nachricht ist die Megainvestition allerdings nicht nur für den Konzern und seine Mitarbeiter. Auch der Wirtschaftsstandort insgesamt profitiert davon, dass Bosch seine Fertigung in Deutschland plant. Zwar hat sich der Konzern dafür entschieden, die neue Produktion in Dresden zu bauen und nicht etwa den bestehenden Standort in Reutlingen zu erweitern. Insofern hat Baden-Württemberg dieses Mal den Kürzeren gezogen und Sachsen jubelt. Betrachtet man die Alternativen, ist diese Wahl aber dennoch sinnvoll.

Das Gefühl, wirtschaftlich abgehängt zu sein, birgt explosives Potenzial

Denkbar wäre andernfalls gewesen, dass der Technologiekonzern die Produktion entweder in den für ihre Halbleiter-Kompetenz bekannten Regionen Nordamerika oder Asien installiert oder aber die Technologie ganz aus der Hand gibt. Dadurch würde die Abhängigkeit hiesiger Unternehmen von Technologiezulieferern aus dem Ausland weiter zunehmen. Know-how und Jobs würden abfließen.

Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu provinziell, wegen der Standortfrage einen innerdeutschen Konkurrenzkampf vom Zaun zu brechen. Von der Entscheidung profitiert nicht nur Sachsen in Form von technologisch anspruchsvollen Jobs. Gut ist die Entscheidung auch für das gesellschaftliche Klima in diesem Land, denn das Gefühl, wirtschaftlich abgehängt zu sein, hat explosives Potenzial. Wer die Nachrichten über gewaltvolle Ausschreitungen und Pegida-Demonstrationen im sogenannten Dunkeldeutschland ernst nimmt, kommt daher zu dem Schluss: Nicht nur die Boschmitarbeiter können gute Nachrichten derzeit gut gebrauchen. Das trifft auch auf die Menschen in Sachsen zu.

anne.guhlich@stzn.de