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Wie die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer ihre Steuersünde verniedlicht, analysiert unser Kommentator Rainer Wehaus.

Stuttgart - Wer auf die Internetseite von Alice Schwarzer geht, wird von ihr herzlich empfangen. Unter einem Foto, das die 71-Jährige mit ausgebreiteten Armen zeigt, kann man weiterklicken und alles erfahren, was die berühmte Frauenrechtlerin über sich preisgeben mag. Und das ist viel: Wer sie ist, was sie denkt, was sie träumt, ihr Leben . . . Alice Schwarzer vermarktet sich wie ein Produkt. Ein gutes Produkt. Man kann ihr sogar Fragen stellen. Denn Schwarzer wollte schon immer mal „Briefkasten-Tante“ sein, wie sie auf ihrer Homepage schreibt.

Am Wochenende hat das Produkt Alice Schwarzer indes einen Imageschaden erlitten. Man denkt bei ihrem Namen jetzt an eine Briefkasten-Firma. Der „Spiegel“ enthüllt, dass Alice Schwarzer ein Konto in der Schweiz hatte und auf die Zinsen keine Steuern zahlte. Als sie sich dem Finanzamt offenbarte, musste sie allein an Zinssteuer für zehn Jahre 200 000 Euro nachzahlen. In der Schweiz lag demnach zumindest ein hoher sechsstelliger Betrag – alles aus versteuertem Einkommen, wie Schwarzer beteuert.

Als vor Monaten das Steuervergehen von Bayern-Präsident Uli Hoeneß bekannt wurde, waren sich alle einig: Pfui Teufel, wie kann man nur! In Schwarzers Fall klingt das plötzlich anders. Sowohl der Bund der Steuerzahler als auch die Deutsche Steuergewerkschaft kritisieren nicht die Steuersünde, sondern deren Veröffentlichung. „Dieses Signal, dass durchgestochen wird, wird viele davon abhalten, künftig eine Selbstanzeige zu erstatten“, schimpft Gewerkschaftschef Thomas Eigenthaler. Als ginge es nur darum, möglichst viel zu kassieren.

Noch heftiger erregt sich Schwarzer selbst. In einer Erklärung bedauert sie zwar „von ganzem Herzen“ die Existenz ihres Schweizer Kontos. Sie hat aber offenbar noch ein zweites Herz, mit dessen Hilfe sie anschließend vehement auf ihre Kollegen vom „Spiegel“ eindrischt, denen sie „illegales“ Handeln vorwirft. Alice Schwarzer schreibt sich derart in Rage – Rufschädigung, Dammbruch, Persönlichkeitsverletzung –, dass sie sich ihr eigenes Vergehen am Ende praktisch verzeiht. Steuerfehler könne man wiedergutmachen, schreibt sie, Rufmord nicht.

Nun ist der Begriff Rufmord klar definiert: Es handelt sich um eine ehrverletzende Behauptung, die nicht stimmt. Die Steuersünde von Alice Schwarzer gab es aber tatsächlich, Schwarzer selbst hat es bestätigt. Vielleicht ist es von einer Frau, die in ihrem Leben mit großen Widerständen und viel Häme zu kämpfen hatte, zu viel verlangt, in so einem Moment etwas nachdenklicher und weniger selbstgerecht zu sein. Gleichwohl ist es bedrückend, wie Schwarzer die Dinge auf den Kopf stellt und sich mit Gebrüll auf die üblichen Verdächtigen stürzt. Laut, lauter, unlauter – das sind in dem Fall die Steigerungsformen à la Schwarzer.

Uli Hoeneß war ebenfalls ein führendes Mitglied aus der Abteilung Attacke. Im Unterschied zu Schwarzer aber hat er nicht sein Geld damit verdient, mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt zu laufen. Alice Schwarzer hingegen lebte und lebt davon, moralische Instanz zu sein. Sie hat stets einen hohen Ton angeschlagen, sogar öffentliche Fördermittel für ihr feministisches Archiv kassiert. Nun darf sie sich nicht darüber beklagen, dass ihr das alles auf die Füße fallt. Ob die Veröffentlichung ihrer Sünde rechtens war, darüber kann man streiten. Gerechtfertigt war sie allemal. Befremdlich, wie verbissen Schwarzer um ihr Image als Sauberfrau kämpft. Und dass sie offensichtlich meint, man dürfe nur Positives über sie berichten. Sie baut nur noch am eigenen Denkmal – und merkt gar nicht, wie sie gerade dadurch ihre in der Tat eindrucksvolle Lebensleistung entwertet.