Kleines Finale, große Perspektive - was macht der Bundestrainer? fragt Thomas Näher.

Am Ende hat es doch nicht zum ganz großen Wurf gereicht. Das ist schade, aber kein Grund zur Verzweiflung. Die Rasselbande von Bundestrainer Joachim Löw hat sich tapfer gewehrt, doch Spaniens "Jahrhundertteam" (Ottmar Hitzfeld) war einfach einen Tick besser. Es fällt nicht schwer, dem Europameister dafür Respekt und Anerkennung zu zollen. Beides hat sich aber auch die DFB-Auswahl redlich verdient. Denn wenn sich die Nebel der ersten Enttäuschung über die verpasste Endspielteilnahme verzogen haben, breitet sich vor dem Auge des geneigten Fans ein Panorama voller betörender Schönheit und Strahlkraft aus. Auch als Dritter oder Vierter, darüber entscheidet am Samstag das kleine Finale gegen Uruguay, zählt die deutsche Mannschaft zu den großen Gewinnern dieser WM.

Erinnern wir uns: Vor dem Turnier gab es genügend Gründe, die ein vorzeitiges Scheitern nahelegten. Tatsächlich drohte schon im Gruppenfinale das Aus, so früh wie keiner anderen deutschen Mannschaft zuvor. Der Sieg gegen Ghana war der Schlüssel - nicht nur für dieses Turnier, sondern für die Zukunft dieser Mannschaft. Die Generation 2010 bezog daraus so viel Sicherheit und Souveränität, dass sie sogar die großen Gegner ins Abseits laufen ließ. England zerschmettert, Argentinien gedemütigt, Spanien gepiesackt - Löws Zauberlehrlinge sind die wahren Magier des Spiels. Mit ihrem Auftreten haben sie die Welt verblüfft und entzückt: leicht und locker, mit Charme und Charisma, aber auch mit Wille und Wucht. Wo früher teutonische Panzer zwischen den Strafräumen rollten, flattern jetzt Libellen durch die gegnerischen Reihen. Dank ihrer spielerischen Klasse und atemberaubenden Kraft und Dynamik gelingen Spielzüge, die Kunstwerken gleichen. Unbeirrt von allen Widrigkeiten hat Löw seine Musterschüler zu einer Klasse geformt, die sich in puncto Homogenität, Disziplin, Spielfreude und Gestaltungskraft Bestnoten verdiente. Ob sie mit Michael Ballack besser abgeschnitten hätte, wer weiß? Im Nachhinein ist es aber kein Fehler, dass die Zukunft früher begonnen hat als geplant.

Ohne den verletzten Capitano haben sich eine neue Hierarchie und ein neuer Teamgeist gebildet, der zweitjüngste deutsche WM-Kader aller Zeiten hat sich von seinem Alt-Kapitän emanzipiert und weist erstaunliche Reife auf. Anders als nach dem peinlichen Vorrunden-Aus bei der Euro 2000 oder dem blamablen Ausscheiden bei der Euro 2004 bietet sich nun eine glänzende Perspektive. Allerdings nur dann, wenn der bisherige Wegbereiter an Bord bleibt. Mit seiner fachlichen Kompetenz, seinem Faible für Offensivfußball, aber auch seinem Einfühlungsvermögen und seiner Geduld passt Joachim Löw wie kein Zweiter zu diesem Team. Die Hoffnung, dass er weitermacht, ist größer als der Schmerz über das verpasste Finale.