Besonders: Die Backwerkstatt der Lebenshilfe in der Ernsthaldenstraße in Stuttgart-Vaihingen Foto: FACTUM-WEISE

Die Lebenshilfe wirbt für einen positiven Blick aufs Leben. Ein guter Ansatz, gerade weil er von vermeintlich Schwächeren kommt.

Stuttgart - Schon mal in der Ernsthaldenstraße in Stuttgart-Vaihingen gewesen? Der Weg dorthin lohnt sich. Unter der Hausnummer 35 findet man neben einer Gärtnerei eine Bäckerei, die von der Lebenshilfe betrieben wird. Menschen mit Behinderung stehen dort von Montag bis Freitag hinter der Ladentheke und bedienen die Kunden, die meist aus den Firmen in der Nachbarschaft kommen. Sie tun dies bewundernswert zuverlässig und auffallend freundlich. Hier zeigt sich Stuttgart tatsächlich als eine Stadt des Lächelns.

Die Bäckerei in der Ernsthaldenstraße mit ihrem angeschlossenem Bistro und einer Alimentari-Abteilung um die Ecke ist in vielerlei Hinsicht anders. Neben Backwaren werden dort Produkte aus den benachbarten Werkstätten der Lebenshilfe angeboten: Tontassen, Glückwunschkarten und bedruckte T-Shirts. Als Aufschrift tragen sie den Slogan der Lebenshilfe: „Am meisten gefällt mir alles.“

Ein Spruch aus dem Leben gegriffen

Slogans, Werbesprüche begegnen uns auf Schritt und Tritt. Originelle und weniger originelle. Solche, die einen ansprechen und solche, über die man sich wundert. Das Land Baden-Württemberg hat zum Beispiel den Slogan „Wir sind Süden“ ausgegeben, angelehnt an die berühmte Schlagzeile des Boulevards „Wir sind Papst“. Man sollte nicht päpstlicher sein als derselbe, doch dem Land der Erfinder macht eine Kopie keine Ehre.

Den Spruch der Lebenshilfe haben nicht Werbeprofis, sondern Studenten der Hochschule für Medien ausgetüftelt. Sie interviewten Mitarbeiter in den Behindertenwerkstätten und erkundigten sich, was ihnen im Leben am besten gefällt. Darunter war die Antwort: „Am besten gefällt mir alles.“ Der Lebenshilfe gefiel der grammatikalisch leicht verrutschte Spruch so gut, dass sie ihn aufgriff.

So wie die Bäckerei in der Ernsthaldenstraße 35 anders ist als andere Läden, so unterscheidet sich dieser Spruch von anderen Slogans. Er wirbt nicht für ein einzelnes Produkt, sondern glaubhaft für eine positive Sicht aufs Leben – speziell auch auf das Leben, das durch Behinderung und Krankheit eingeschränkt ist.

Auch der Lebenshilfe gefällt nicht alles

Natürlich gefällt einem nicht alles. Auch der Lebenshilfe nicht. Ebenso wenig den rund 400 Menschen mit geistiger Behinderung, die sie in Stuttgart betreut und beschäftigt. Das Bundesteilhabegesetz beispielsweise stößt in der bisherigen Fassung auf Missfallen, weil es für Menschen mit geistiger Behinderung vieles offenlässt. Oder die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt, der es der Selbsthilfevereinigung schwer macht, ihre Angebote auszuweiten. Gerne würde sie eine zweite inklusive Kindertagesstätte aufmachen.

Es kann einem auch nicht gefallen, dass die Landesregierung jetzt indirekt bei Kindern mit Behinderung spart, indem sie den Ausbau des gemeinsamen Unterrichts an Schulen stoppt. Ein Armutszeugnis für ein reiches Bundesland, findet die Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – gemeinsam lernen. Zu Recht! „Am meisten gefällt mir alles.“ Ja, auch dass man die Politik für diese Entscheidung kritisieren kann.

jan.sellner@stzn.de