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Was als Flashmob begonnen hat, wird nun kommerziell vereinnahmt. Beim weißen Dinner häufen sich die Klagen über Trittbrettfahrer.

Stuttgart - Was als Flashmob begonnen hat, wird nun kommerziell vereinnahmt. Beim weißen Dinner häufen sich die Klagen über Trittbrettfahrer.

D as ganze Leben ist ein Quiz – aber es kann auch ein Spaßkarussell sein, das sich gerade zwischen White Dinner und Color Run dreht. Beide Veranstaltungen – oder Events, wie wir Großstädter sagen – sind in den Metropolen zu penetranten Modeerscheinungen geworden. Mit Verspätung ist das, was in Paris, London und New York begonnen hat, in Stuttgart angekommen. Menschen, die sich für ziemlich cool halten, jedenfalls erheblich cooler sind als alle anderen, treffen sich in weißer Kleidung, um an ausgefallenen Orten zu speisen. Oder sie starten in weißer Kleidung zum Fünf-Kilometer-Lauf, um grellbunt im Ziel anzukommen.

Kürzlich sprach ich mit einem Freund darüber. Ein Essen ganz in Weiß mache ihn überhaupt nicht an, sagte er. Das habe er jeden Tag. Der Freund ist Arzt in einer Klinik. „Immer mittags in der Kantine hab’ ich mein White Dinner“, sagte er, „aber euch Zeitungsfritzen ist das völlig egal – noch nie habt ihr darüber geschrieben.“ Dies, erwiderte ich, würden wir auch weiterhin nicht tun. Es sei denn, bei der Essenausgabe würden er und seine Kollegen wie kürzlich beim Color Run im Neckarpark, auf der Laufstrecke rund um die Mercedes-Benz-Arena, mit Farbe beworfen. Als wir das Thema vertieften, kam uns eine großartige Idee. Wir hatten etwas gefunden, was es in keiner Stadt der Welt bisher gibt. Endlich würden Paris, London und New York was von unserem Stuttgart übernehmen! Natürlich haben wir die Idee sofort schützen lassen.

Color Eating! Und das geht so: Man trifft sich wie zum White Dinner. Riesige Tafelrunden in Weiß. Und dann wird serviert. Spaghetti mit Tomatensoße.

Mit viel, viel Tomatensoße! Erst gibt’s ein paar Spritzer aus Versehen. Dann wird’s wild und wilder. Wir bewerfen uns mit Soße. Wie berauschend das sein kann, sehen wir jedes Jahr im spanischen Brunol bei Valencia. Da tragen die Menschen zur Tomatenschlacht Taucherbrillen.

Fürs erste Color Eating auf dem Stuttgarter Schlossplatz werden wir Early-Bird-Tickets verkaufen. Das White Dinner macht’s vor, das am 23. August in Stuttgart an einem Ort stattfinden soll, der bisher noch geheim gehalten wird. Laut Facebook haben sich weit über 800 Menschen angemeldet, also 29,99 Euro bezahlt (ohne Essen, das man selbst mitbringen soll oder im Picknick-Korb vor Ort kaufen kann). Das weiße Essen geht aufs Dîner en blanc zurück – 1988 hatte laut Wikipedia ein François Pasquier seine private Gartenparty wegen Überfüllung spontan in den nahe gelegenen Bois de Boulogne verlegt. Seitdem fallen weiße Picknicker als Flashmobber weltweit über schöne Plätze her. Verfechter der Idee sind wütend, dass es nun plötzlich ums Geld geht. Denn eigentlich müsse so ein Fest kostenlos sein. In immer mehr Städten häufen sich Klagen über Trittbrettfahrer, die nur Kohle machen wollen.

„Du brauchst die kommerziellen Heinis nicht“, sagte der Freund, „komm in unsere Kantine und schreib was übers White Dinner.“ Viel mehr interessierte mich, warum Ärzte immer Weiß tragen. „Na, weil wir keine Halbgötter in Rot sind“, antwortete er. So genau wusste er nicht, wie es zu der Farbe Weiß in seinem Berufsstand kam. Ich hatte die Antwort schnell gegoogelt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren Ärzte in Schwarz gekleidet – bis sie wussten, dass Schmutz für Krankheiten sorgen kann. Von da an trugen Ärzte Weiß, die Farbe die Reinheit. Steril und sauber soll’s sein. Weiß kann heiß gekocht werden – eine Farbe würde ausbleichen. Dem Freund sagte ich zu, mal in seine Kantine mit weißen Jeans und weißem Hemd zu kommen. Aber nur, wenn es Tomatensoße gibt. Color Eating in der Klinik-Kantine.

Danach werden wir alle eingeliefert.