Die Halsbinde der Retro-Flache preist das Bier als „vortrefflich“an Foto: sb

Kokolores, blümerant, vortrefflich – die Rote Liste der bedrohten Wörter ist lang. Der Retro-Trend bringt vergessenen Sprachschatz zurück, worüber sich unser Kolumnist Uwe Bogen freut.

Stuttgart - Worüber reden fünf Journalisten, die am Stehtisch stehen und Bier trinken? Reden sie über den Niedergang der Printmedien? Darüber, dass die guten alten Zeiten für Zeitungsschreiber bald vorbei sind? Aber nein! Sie freuen sich, dass die alten Zeiten wieder kommen!

Die fünf Journalisten, die am Stehtisch stehen und Bier trinken, feiern an diesem Abend den Abschied von verdienten Kollegen. Sie trinken Bier, das die verdienten Kollegen zu ihrem Abschied spendiert haben. Es ist das Bier einer Brauerei, die auf Erinnerungen setzt. Deshalb schmückt das Original-Etikett der 1960er Jahre den Flaschenbauch.

Gegengewicht zum rasanten Alltag

Auf der Halsbinde der Flasche steht „Vortrefflich“. Es ist ein Wort, das man heutzutage nur noch selten hört, das aber einst häufig vorkam, nicht nur in der Bierwerbung. Die fünf Journalisten, die am Stehtisch eine Bierflasche in der Hand halten, stellen fest, dass sie das schöne Wort „vortrefflich“ seit Jahren nicht mehr oder noch nie in ihren Artikeln verwendet haben. Und so geloben die fünf Journalisten am Stehtisch, dass jeder auf seine Weise und in seinem Ressort gar Vortreffliches schreiben werde. Auf dass ein besonders schönes Retro-Wort in den Sprachgebrauch zurückkehrt.

Retro! Seit Jahren lieben nicht nur die Alten diesen Trend, weil es ihnen guttut, sich an ihre Jugend zu erinnern. Nein, auch die Jungen wollen ein Gegengewicht zum rasanten Alltag, der sich so schnell verändert, dass man kaum Schritt halten kann. Deshalb holen sie dank Retro Dinge aus der scheinbar harmonischen Vergangenheit in die heutige Zeit.

Wenn das nicht vortrefflich ist!

Zu den Wörtern, die auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter stehen, gehören: Animierdame, Lümmeltüte, Amtsschimmel, Depesche, Einspänner, Herrengedeck, Kassengestell, Schwof, Sommerfrische, spornstreichs, tirilieren, Übelkrähe, scharwenzeln.

Im Internet gibt es Seiten, auf denen man alte Wörter melden kann, die kaum noch verwendet werden. Bedrohte Wörter sind oft daran zu erkennen, dass sie für unsere Ohren heute putzig klingen oder sich sperrig im Mund anfühlen.

„Blümerant“ für den Eierlikör

Die fünf Journalisten, die am Stehtisch beim Bier vereinbarten, vortrefflich der deutschen Sprache zu dienen, könnten noch viel mehr Wörter ihrer Eltern oder Großeltern wachküssen: Springinsfeld, Kokolores, Maulaffen feilhalten – klingt gut und trifft den Nagel auf den Kopf.

Das Bier mit dem Wort „vortrefflich“ auf dem Flaschenhals könnte nur der Anfang sein, um junge Menschen für versunkene Schätze der deutschen Sprache zu begeistern.

Wann kommt der erste Eierlikörproduzent auf die Idee, das Wort „Blümerant“ auf seine Eierlikörflaschen zu kleben? Wem flau oder schwindelig ist oder wer kurz vor der Ohnmacht steht, fühlt sich blümerant. Auf Damen, die Eierlikör lieben, trifft dies im besonderen Maße zu. Bei „blümerant“ handelt es sich um eine Verballhornung des französischen „bleu mourant“ – das sterbende Blau.

Das Lokal mit Frühstücksservice könnte mit folgendem Spruch werben: „Schlampampen Sie bei uns!“ Schlampampen bedeutet schlemmen – es steht für Genuss. Klingt viel kraftvoller als das heute übliche „brunchen“.

Liebe Kollegen, wir sollten mal wieder am Stehtisch Bier trinken und überlegen, welche Wörter wir noch retten müssen. „Printzeitung“ gehört hoffentlich noch lange nicht dazu. Eine Zeitung aus Papier knistert so schön – ist viel gefühlsechter. Darauf trinken wir vortrefflich unser Bier! Online trinken ist Kokolores.

Noch mehr Kolumnen von Uwe Bogen sind im Buch „Goht’s no? Lieben, Leben, Leiden im Land der Schwaben“ (Belser-Verlag) erschienen.