Ganz verschieden, völlig bunt, total gemischt! Stuttgart ist Vielfalt statt Einfalt, denn in dieser Stadt leben Stuttgarter aus aller Welt. Und genau diese Menschen – reingeschmeckte Stuttgarter, Stuttgarter mit Migrationshintergrund, aber auch alteingesessene Stuttgarter – erzählen fortan in den Stuttgarter Nachrichten ihre Allerwelts- und Alltagsgeschichten. In einer Kolumne mit dem Titel „So ist S“. Foto: Yann Lange

Kolumnenschreiber diskutieren über die 300 Jahre alte Tradition. Eine Leserin schickt ein Gedicht der aus Berlin stammenden Mutter.

Ganz verschieden, völlig bunt, total gemischt! Stuttgart ist Vielfalt statt Einfalt, denn in dieser Stadt leben Stuttgarter aus aller Welt. Und genau diese Menschen – reingeschmeckte Stuttgarter, Stuttgarter mit Migrationshintergrund, aber auch alteingesessene Stuttgarter – erzählen fortan in den Stuttgarter Nachrichten ihre Allerwelts- und Alltagsgeschichten. In einer Kolumne mit dem Titel  „So ist S“.

Stuttgart - Nachdem die Kehrwoche am vergangenen Sonntag 300 Jahre alt wurde, beschäftigt diese schwäbische Tradition auch unsere „So ist S!“-Kolumnenschreiber – das Thema wird kontrovers diskutiert.

Karin Foster „mag Sauberkeit, deswegen halte ich die Kehrwoche für eine gute Sache. Außerdem ist es ein kleiner Beitrag, unsere Umwelt sauber zu halten. Es ist doch viel angenehmer, durch saubere Straßen zu laufen als durch verunreinigte. Da werde ich als Schwabe doch gern belächelt!“

Anna Ioannidou hingegen schreibt: „Ach nö, die liebe Kehrwoch feiert ihr 300-Jahr-Jubiläum! So schlecht kann das doch nicht sein, wenn sie so viele Jahre überdauert hat!? Grundsätzlich dient die Kehrwoche dem Allgemeinwohl und ist folglich positiv. Mein Problem fängt jedoch an, wenn ich mit der Kehrwoche dran bin und keine Papierschnipsel, keine Zigarettenkippen und auch kein sonstiger Unrat im Hof zu sehen ist und die 80-jährige Nachbarin aus dem Fenster schaut und mir zuruft: ‚Sie, Frau Joanido, Sie wisset scho, dass Sie letzt Woch die Kehrwoch net gemacht hän!‘“ Mein Argument, dass da nichts zum Kehren war, überzeugte keineswegs. Ich halte es jedenfalls wie die alten Griechen: Pan metron ariston! (Maßhalten ist das Beste!). Deshalb, Kehrwoche ja, jedoch nicht klinisch rein!

Jürgen Schwartz verfolgt die Diskussion ungläubig: „Das ist doch nicht Euer Ernst, ich kenne niemanden, der die Kehrwoche gut findet. Mit etwas Verantwortungsbewusstsein und freundlichem Umgang im Haus kann man das sicher auch anders regeln als mit so einer altmodischen Reglementierung. Aber wenn es keine Regeln gibt, hat der Schwabe halt auch nichts zu meckern. . . In Hamburger Mietshäusern gibt es einen Hausmeisterservice, der das erledigt.“

Gabriele Nübel aus Weiler schickt ein Gedicht ihrer Mutter Annemarie Weitbrecht ein. „Meine Mutter, eine geborene Berlinerin, starb 2009 mit 96 Jahren. Das Gedicht ‚Die Kehrwoche‘ hat sie 1950 gemacht, als man die Kehrwoche noch sehr genau nahm, ganz besonders bei ihr als Reigschmeckte:

‚Ick jing in Berlin int Lyzeum

und büffelte fürchterlich.

Ick kannte jedet Museum –

die Kehrwoche kannte ick nich.

Ick kannte die Römer und Jriechen,

ick wußte, wann Joethe verblich.

Ick kannte die Tiere, die kriechen –

die Kehrwoche kannte ick nich.

Dann kam meen Oller jestiebelt

mit’n joldenen Ring in de Hand.

Ick habe nich lange jegrübelt

und folgte ins Schwabenland.

Hier war mein Wissen so nichtig,

denn et jab andret zu tun.

Ick lernte, wat hier allein wichtig,

ick lernte die Kehrwoche nun.

Det Treppenhaus muß wieder blitzen,

die Fenster von Muckenschiß frei,

der Gehweg tip-top bis in Ritzen,

die Straße so klar wie ein Ei.

Im Winter kiek ick zum Himmel,

wat ick im Westen wohl seh.

Mensch, dieset Wolkenjewimmel,

ick fürchte, bis morjen liejt Schnee.

Dann muß ick schippen und kehren

ums Haus rum, doch bitte sehr früh.

Det Trottoir muß ick entleeren -

ick bin fast ein Kehrwochgenie.

Wat hilft mir hier Schiller und Joethen ?

Und wat ick an Bildung jeleckt,

da jing mir so vieles von flöten -

in Kehrwoche bin ick perfekt.‘“

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