Hildegard Müller sieht die Absicherung der Energiewende durch sichere Stromquellen gefährdet: „Irgendwann wird es eng“ Foto: BDEW

Weil die nationalen Klimaziele wanken, will die Bundesregierung Kohlekraftwerke, die viel Treibhausgas ausstoßen, mit einer Klimaabgabe belegen. Das könnte zum Aus der Anlagen in Deutschland führen. Die Chefin des Energieverbands BDEW, Hildegard Müller, ist sauer.

Stuttgart - Frau Müller, rund ein Sechstel des deutschen Treibhausgasausstoßes geht auf ein halbes Dutzend große Braunkohlekraftwerke zurück. Was ist schlecht daran, wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nun darangeht, diese Anlagen über den Weg einer Klimaabgabe aus dem Verkehr zu ziehen?
Man darf nicht ausblenden, was passiert, wenn Deutschland als Konsequenz aus den Plänen des Wirtschaftsministeriums faktisch schon kurzfristig ohne Braunkohle auskommen soll. Das Bundeswirtschaftsministerium tut derzeit aber genau dies, indem es bestreitet, dass es überhaupt nennenswerte negative Konsequenzen geben würde, wenn seine Pläne in die Tat umgesetzt würden.
Was genau schwebt Berlin in Sachen Kohle vor?
Es geht eben nicht wie behauptet allein um 22 Millionen Tonnen CO2, die die Kraftwerke zusätzlich einsparen sollen. Es gibt bereits jetzt Vorgaben, nach denen die Kraftwerke 37 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid bis 2020 ausstoßen dürfen. Damit sollen innerhalb von fünf Jahren also allein in den deutschen Kraftwerken 59 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Und angesichts der schleppenden Umsetzung der deutschen Klimaziele, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Politik die Einsparziele in Zukunft weiter erhöht. Das ist ein erheblicher Eingriff, und über diesen muss mit allen Beteiligten diskutiert werden. Das kann man nicht einfach so durchsetzen.
Was werfen Sie Sigmar Gabriel vor?
Die Konsequenzen seines Vorschlags zur CO2-Reduktion über die sogenannte Klimaabgabe kommen einfach nicht offen auf den Tisch. Das Wirtschaftsministerium hat verschiedene Modelle geprüft, den Treibhausgasausstoß in Deutschland zu senken. Der Minister könnte die Ergebnisse dieser Berechnungen ja einmal auf den Tisch legen. Das ist nicht geschehen. Was dort gerechnet worden ist, wüsste ich gerne einmal. Dann könnte man sich auch über mögliche Konsequenzen unterhalten. Und ich erwarte auch, dass die Bedenken von Betroffenen – etwa der Energiewirtschaft und der Gewerkschaften – offen aufgegriffen werden.
Muss die Politik in Sachen CO2-Ausstoß nicht handeln? Immerhin läuft Deutschland Gefahr, die selbst gesteckten Klimaziele zu verfehlen . . . 
Die Energiewirtschaft unterstützt die deutschen Klimaziele, wir haben immer wieder zahlreiche konkrete Umsetzungsvorschläge hierzu gemacht. Aber man muss über den Weg diskutieren, die Ziele zu erreichen. Was heißen die CO2-Einsparziele für die betroffenen Regionen? Was heißen sie für die Tagebaue in Deutschland? Was für die Kraftwerke und die Strompreise? All das ist nicht geklärt. Für eine wichtige Frage wie die Zukunft der Braunkohle braucht es einen nationalen Konsens, und wenn die Bundesregierung schnell einen Dialog mit allen Beteiligten anstoßen würde, würde dieser Konsens auch erreicht werden.
Der Großteil der deutschen Braunkohlekraftwerke ist in den 1970er und 1980er Jahren ans Netz gegangen. Ihre technische Lebenserwartung geht derzeit zu Ende. Ist die Klimaabgabe nicht schlicht eine seit langem nötige Verjüngungskur des deutschen Kraftwerksparks?
Das Problem ist doch, dass selbst neue Kraftwerke heute nicht mehr auf die nötigen Betriebsstunden kommen, um sich zu rentieren. Vor diesem Hintergrund finden Investitionen in neue Anlagen nur in sehr geringem Umfang statt. Man muss sich also grundsätzlich darüber unterhalten, wie man Anreize zum Bau neuer Anlagen schafft. Diese Debatte sollte eigentlich in diesem Jahr geführt werden, verzögert sich aber immer weiter.
Laut Bundeswirtschaftsministerium würde sich der Strompreis durch die Klimaabgabe um 0,2 Cent je kWh im Jahr 2020 verteuern, also fast gar nicht. Ist das realistisch?
Verschiedene Zahlen stehen im Raum. Das Problem ist, dass im Moment jeder die Zahlen benutzt, die auf seine Argumentation am besten passen. Ähnlich verhält es sich bei den möglichen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Von keinen negativen Auswirkungen auf die Jobs auszugehen ist allerdings unzutreffend.
In mehreren Ländern Europas kippen gerade die Klimaziele, weil der EU-weite Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten nicht klappt. Weil die Zertifikate so günstig sind, besteht kaum ein Anreiz, CO2 einzusparen, etwa in Kraftwerken. Wird es gelingen, den Zertifikatshandel wiederzubeleben?
Es ist zwingend, den Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten weiterzuentwickeln. Wir brauchen da eine echte Reform, und zwar auf europäischer Ebene. Ohne sie werden wir viele der Probleme, über die wir derzeit diskutieren, nicht in den Griff bekommen. Wir haben deshalb konkrete Vorschläge zur Wiederbelebung des CO2-Handels gemacht. Nationale Symbolik hilft da nicht weiter.
Nicht nur die Kraftwerke stoßen CO2 aus. Auch der Verkehr und Gebäude sind Klimakiller. Wo sind die größten Klimalücken derzeit?
Es gibt eine ganze Reihe von Lücken, etwa im Mobilitäts- oder im Gebäudebereich. Dort wird CO2 hauptsächlich durchs Heizen freigesetzt. Aber auch hier kommt die Politik nicht voran. Es war beispielsweise geplant, ein Gebäudesanierungsprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro aufzulegen. Die Mittel hätten etwa für bessere Dämmung oder Heizungen verwendet werden können und eine Menge CO2 einsparen können. Diese Verhandlungen sind 2015 erneut gescheitert, weil sich Bund und Länder nicht über die Kostenverteilung einigen konnten. Was sich hier abspielt, ist ein Trauerspiel, obwohl sich alle Experten einig sind, dass so ein Programm auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln würde. Ich will damit sagen, dass es nicht nur bei den Kraftwerken, sondern auch anderswo erhebliche Probleme gibt.
Die Kernkraftwerke weg. Die Braunkohle weg. Was bedeutet das am Ende für die Energiesicherheit?
Über die Hälfte aller Kraftwerksneubauprojekte stehen derzeit zur Disposition. Ich werde hier nicht alarmistisch vor einem Blackout in Deutschland warnen. Aber zurzeit sind bei der Frage, wie wir die Energiewende durch sichere Stromquellen absichern, alle Vorzeichen negativ. Irgendwann wird es eng.
Die Bundesregierung will ihr Ausbauziel für sehr effiziente Kraftwerke, die neben Strom auch Wärme nutzen (Kraft-Wärme-Kopplung), senken. Wie passt das zum Ziel des Klimaschutzes?
Das passt gar nicht zusammen, denn durch eine Förderung dieser Technologie könnte CO2 in erheblichem Umfang eingespart werden. Die Vorschläge, die derzeit auf dem Tisch liegen, laufen sogar darauf hinaus, dass schon laufende Anlagen aus Kostengründen vom Netz genommen werden müssen. Da gibt die Politik Millionen Tonnen CO2-Ersparnis einfach verloren.