Lichtdurchflutete Zimmer sind Standard in der neuen Palliativeinheit Foto: Lichtgut

90 Prozent aller Sterbenden verbringen ihre letzten Tage in einer stationären Einrichtung. Etwa in sogenannten Palliativstationen. Im Klinikum Stuttgart gibt es nun eine neue Palliativeinheit – mit einem ganzheitlichem Ansatz.

Stuttgart - Hier geht es um alles oder nichts. In den allermeisten Fällen. Wer auf einer Palliativstation landet, ist sehr schwer erkrankt. Hoffnung auf eine kurative Behandlung, wie die Mediziner sagen, besteht nicht mehr. Meistens heißt die Diagnose Krebs. Die Tage eines Menschen sind gezählt. In so einer Station müssten folglich Trauer und Schwere den Alltag beherrschen.

Doch genau so soll es nicht sein. Schon gar nicht auf der neuen Palliativstation des Klinikums Stuttgart. Wenn am 18. Juli die Palliativeinheit des Bürgerhospitals mit der des Klinikums verschmilzt, entsteht etwas ganz Neues. Eine 14-Betten-Station, in der alleine die Anmutung der Einbettzimmer und Flure hell und freundlich ist. Auch einen Wintergarten gibt es. „Hier geht’s um Wärme und Zuwendung. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen. Da darf die Bezahlung keine Rolle spielen“, sagt Krankenhaus-Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne).

Geld ist zweitrangig. „Die Palliativstation ist nicht ausreichend finanziert“, sagt Klinikum-Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz, „es ist ein Zuschussgeschäft.“ Im Jahr 2014 betrug das Defizit für neun Betten 773 000 Euro (Gesamtdefizit 14 Millionen). „Aber wir haben nicht überlegt, ob wir uns das leisten können“, betont Wölfle: „Wir wollten eine optimale Versorgung. Und jetzt haben wir eine Hammerstation.“

Maximale Aufmerksamkeit für die Patienten

Ziel ist es, schwerstkranken Menschen auf dieser Station mehr Lebensqualität zu geben. Die Verlängerung des Lebens um jeden Preis lehnt die Stationsleiterin, Dr. Marion Daun, ab. Ihre Maxime lautet: maximale Aufmerksamkeit für die Patienten und eine exzellente Linderung der Beschwerden. Sie nennt ihre Aufgabe eine „Kunst des Seinlassens“. Sie hätte es auch einen Balanceakt nennen können. Denn die Medizin bewegt sich – auch oder gerade im Klinikum – technisch auf höchstem Stand. „In letzter Konsequenz ist der Fortschritt der Medizin auf einer Hochgeschwindigkeitstrasse“, sagt der Ärztliche Leiter, Professor Gerald Illerhaus. Und doch stößt die Medizin irgendwann an Grenzen ihrer Heilkunst. Genau dann sind die Palliativmediziner und deren Team gefragt.

Das Team von Marion Daun ist besonders geschult und ausgebildet. Auch im Umgang mit den Angehörigen, die angesichts der schweren Diagnosen oft mit Panik, Angst und Wut reagieren. Zur Mannschaft gehören neben spezialisierten Ärzten Physio- und Ergotherapeuten, Kunst- und Musiktherapeuten, Psychologen, Logopäden und einer Seelsorgerin.

Letztere ist Dr. Corinna Schmohl, die jüngst ein Buch zur „seelsorgerischen und psychotherapeutischen Begleitung“ veröffentlicht hat. Obwohl Corinna Schmohl als evangelische Pfarrerin in Diensten der Landeskirche steht, betreut sie Patienten überkonfessionell und überreligiös. „Die Frage nach dem Sinn stellt sich oft in großer Intensität“, sagt sie, „das Leiden unter Gefühlen der Sinnlosigkeit, des spirituellen Schmerzes und ungelöster religiöser Fragen bleibt in der Praxis trotz des palliativmedizinischen Konzepts oft unbeachtet.“

Im Klinikum Stuttgart soll das nicht so sein. Marion Daun hat einen „ganzheitlichen Ansatz“, der an die Art und Qualität hospizlicher Arbeit heranreicht. Gleichwohl warnt Marion Daun: „Hospiz bedeutet den Abbruch jeder spezifischen Therapie. Hier wird noch alles getan, zum Beispiel eine Tumortherapie, um die Luftnot zu kontrollieren.“ Außerdem gäbe es im Hospiz keine 24 Stunden ärztliche Präsenz.

Zu den Qualitätsstandards von Marion Daun zählt auch die Aufenthaltsdauer. „Hier gibt es keine Regelzeit. Die Dauer richtet sich ganz nach den Bedürfnissen der Patienten. Das können sechs Wochen oder aber nur ein Tag sein.“ Damit setzt sie das um, was Bürgermeister Wölfe wichtig ist: „Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen.“