Aprikosenbäume gedeihen im Südwesten immer besser – eine der wenigen positiven Folgen des Klimawandels Foto: dpa

Vielleicht bleibt er ja doch aus, der Klimawandel? Ein schöner Wunsch, aber nicht die Wirklichkeit. Vielmehr gibt es Belege dafür. Messdaten weisen eindeutig die Erderwärmung nach. Die Konsequenzen sind fatal. Das Land entwickelt deshalb eine gezielte Anpassungsstrategie für acht Bereiche.

Stuttgart - Es hilft nicht, den Klimawandel wegzudiskutieren: Der UN-Weltklimarat weist ihn in seinem Sachstandsbericht eindeutig nach. Das bedeutet einerseits, dass die Emissionen weltweit und lokal gesenkt werden müssen. Dem nicht vermeidbaren Klimawandel aber müssen Strategien entgegengesetzt werden, damit es nicht zur Katastrophe kommt.

Durch die vom Land mitfinanzierten Forschungsprogramme KLIWA (Klimaveränderung und Konsequenzen für die Wasserwirtschaft), KLARA (Klimawandel – Auswirkungen, Risiken, Anpassung) und Herausforderung Klimawandel Baden-Württemberg gibt es umfangreiche Datengrundlagen. Allein für KLIWA wurden mehr als 250 Wetterstationen und rund 40 Flusspegel im Land ausgewertet. Daneben wurden auch Szenarien für die zukünftige Entwicklung im Land erstellt. Ergebnis: Die Durchschnittstemperatur im Land hat sich im 20. Jahrhundert deutlich erhöht. Diese Erwärmung wird sich auch künftig fortsetzen – mit Auswirkungen auf Wetter, Pflanzen, Tiere und auf die Menschen.

Die wärmste Dekade seit mindestens 130 Jahren

Das erste Jahrzehnt im neuen Jahrtausend war in Deutschland die wärmste Dekade seit mindestens 130 Jahren. In Baden-Württemberg hat die Jahresdurchschnittstemperatur um gut ein Grad Celsius zugenommen, weltweit dagegen nur um 0,7 Grad.

Der Klimawandel ist in Baden-Württemberg in vollem Gange: Die Jahresmitteltemperatur stieg seit 1901 bis heute von rund acht Grad Celsius auf neun Grad an. Den größten Anstieg gab es dabei erst in den vergangenen 30 Jahren. So herrschen in Karlsruhe heute die gleichen Temperaturen wie im französischen Lyon vor 75 Jahren. Die Höchstniederschläge haben im Winter bis zu 35 Prozent zugenommen, ebenso die Zahl der Hochwasserereignisse in den letzten 30 Jahren. Die Sommer in Baden-Württemberg sind dagegen trockener als früher.

Vor allem in tiefer liegenden Gebieten wird eine geschlossene Schneedecke im Winter immer seltener. In Stuttgart wurden 1953 noch 25 Eistage (Höchsttemperatur unter 0 Grad) gemessen und genauso viele Sommertage (Höchsttemperatur mindestens 25 Grad). Bis 2009 erhöhte sich die Zahl der Sommertage in Stuttgart auf 45, während die Eistage auf 15 zurückgingen.

2050 wird es doppelt so viele Hitzetage geben

Diese Trends verstärken sich nach den Berechnungen aller Klimaszenarien in Zukunft noch. Bis zum Jahr 2050 steigt die Jahresdurchschnittstemperatur in Baden- Württemberg um 0,8 bis 1,7 Grad. Doppelt so häufig wie heute wird es Hitzetage (Höchsttemperatur mindestens 30 Grad) geben. Frost- und Eistage gehen deutlich zurück. Besonders betroffen ist die Rheinebene.

So wird etwa in Karlsruhe die Zahl der Sommertage von derzeit knapp 60 bis Mitte des Jahrhunderts auf mehr als 80 Tage ansteigen. Die Niederschläge im Winter werden je nach Region um bis zu 35 Prozent zunehmen. Damit einher geht eine größere Hochwassergefahr im Winter. Für den Neckar haben die Forscher ermittelt, dass ein Jahrhundert-Hochwasser bis zum Jahr 2050 um 15 Prozent mehr Wasser führen könnte als bisher.

Das Land hat Fachgutachten in Auftrag gegeben, die die Situation für die folgenden Handlungsfelder beschreiben und Lösungen aufzeigen sollen: Wald- und Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Boden, Naturschutz, Wasserhaushalt, Tourismus, Gesundheit sowie Stadt- und Regionalplanung. Für das Handlungsfeld Wirtschaft und Energiewirtschaft wurde kein Fachgutachten erstellt. Vielmehr wurden bei einem Workshop die Auswirkungen auf verschiedene Branchen diskutiert und Anpassungsmaßnahmen erarbeitet.

Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) hat als Basis für die Fachgutachten verschiedene Klimamodelle ausgewertet. Daraus werden Richtung und Bandbreite der klimatischen Entwicklung abgeleitet. Die Fachgutachten untersuchen die Vulnerabilität des Landes, also die Verwundbarkeit in den acht verschiedenen Bereichen.

Aber auch die Bürger sind in den Prozess eingebunden: Von November bis Dezember 2014 hatte das Ministerium eine Online-Befragung geschaltet zum Thema „Was denken Sie vom Klimawandel?“. Zurzeit wird die Umfrage ausgewertet. Die Anpassungsstrategie soll im ersten Halbjahr dieses Jahres im Ministerrat diskutiert und dann im Kabinett verabschiedet werden. Sie ist dann zweites Standbein zu dem 2013 im Landtag verabschiedeten Klimaschutzgesetz.

Folgen für die Gesundheit

Der gesunde menschliche Organismus kann sich an eine Umgebung mit dauerhaft hohen Temperaturen anpassen. Diese Akklimatisation gelingt bis 30 Grad. Bei Älteren sind diese Mechanismen aber nur eingeschränkt wirksam. So kam es im Hitzesommer 2003 zu 1100 hitzebedingten Todesfällen im Südwesten. Experten prognostizieren, dass sich die Wärmebelastung bis 2055 im Vergleich zum Zeitraum 1951 bis 2000 um 20 Prozent erhöht. Wärmeres Klima fördert aber auch die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die etwa durch Zecken übertragen werden. Wärmeliebende Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie siedeln sich stärker an, sensible Menschen reagieren allergisch. Weitere Auswirkungen des Klimawandels auf Ozon, Feinstäube und Stickoxide sind unklar. Wegen der höheren UV-Strahlung wird bei Menschen mit Berufen im Freien die Hautkrebsrate ansteigen.

Fazit: In Verdichtungsräumen mit wenig Grünflächen ist mit einer hohen Gesundheitsbelastung durch steigende Temperaturen zu rechnen. Auch bei Nicht-Risiko-Gruppen führen erhöhte Temperaturen zu einer zusätzlichen Belastung des Herz-Kreislauf-Systems und Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Allergien.

Folgen für die Landwirtschaft

Das durchschnittliche jährliche Wasserangebot im Land über Grundwasser, Oberflächengewässer und Niederschläge beträgt 49 Milliarden Kubikmeter – etwa so viel wie das Bodenseevolumen. Davon werden zehn Prozent genutzt – zu 87 Prozent von der Wirtschaft für die Kühlung bei der Produktion und Stromerzeugung. Bis 2050 wird sich an den sommerlichen Niederschlägen wenig ändern. Es wird aber deutlich wärmer. Bis 2050 wird damit der Wasserabfluss im Sommer um zehn bis 20 Prozent abnehmen. Betroffen von der Trockenheit sind die Energiewirtschaft, das Wassermanagement für die Wassermenge und -güte, die Binnenschifffahrt, Gewässerökologie und Fischerei. Die Winterniederschläge dagegen steigen je nach Modell um fünf bis 20 Prozent, in manchen Regionen sogar bis 35 Prozent. Besonders betroffen sind Schwarzwald und Alpenvorland. In den Hochlagen des Schwarzwalds gibt es nach den Prognosen von Dezember bis Februar im Mittel etwa eine Verdoppelung. Damit erhöht sich die Gefahr von Hochwasser.

Fazit: Bis zum Jahr 2050 ist eine Verschärfung der Hochwassersituation sowohl in der Höhe, der Dauer als auch der Häufigkeit sehr wahrscheinlich – insbesondere im Winterhalbjahr. Schwere Schäden können sowohl lokal als auch großräumig auftreten. Extreme Niedrigwasserereignisse im Sommer treten großräumig auf und sind nicht zu vermeiden. Davon werden bedeutende ökologische und volkswirtschaftliche Schäden erwartet.

Folgen für die Wirtschaft

Die Südwest-Wirtschaft ist heterogen: Betroffenheit, Anpassungskapazität und Handlungsbedarf sind deshalb sehr unterschiedlich. Das Umweltministerium hat deshalb in diesem Bereich auf ein Fachgutachten verzichtet und stattdessen Vertreter aus Wirtschaft, Verbänden und Expertenorganisationen an einen Tisch gebeten. Bei einem Workshop „Fit machen für den Klimawandel – Herausforderung für die Wirtschaft Baden-Württembergs“ wurden Chancen und Risiken des Klimawandels erfasst.

Fazit: Nahezu alle Branchen sind bereits heute von den Folgen des Klimawandels berührt. Gemessen an der Menge der gesammelten Auswirkungen und Risiken, scheint die Logistik- und Verkehrsbranche auf besonders vielfältige Weise von den Folgen des Klimawandels berührt, gefolgt von der Chemie- und Pharmaziebranche und der Energiewirtschaft.

Folgen für den Tourismus

5,1 Prozent der Erwerbstätigen sind vom Tourismus abhängig, das sind rund 280 000 Arbeitsplätze. Besonders wichtig ist der Tourismus für die ländlich geprägten Heilbäder und Kurorte. Die Wissenschaftler erwarten in der nahen Zukunft etwa neun und in der fernen Zukunft etwa 18 Eistage weniger als bisher. Die Frosttage sinken voraussichtlich sogar um 19 (nahe Zukunft) und um bis zu 47 Tage (ferne Zukunft). Dadurch nehmen Schneesicherheit und Beschneiungsmöglichkeiten ab. Im Sommer könnten höher gelegene Orte im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb zu Sommerfrische-Orten werden: Die Zahl der Hitzetage mit 30 und mehr Grad nimmt um 2,8 in der nahen und 21 in der fernen Zukunft zu. Im Herbst und Frühjahr kann der Anstieg der mittleren Temperaturen die Saison für alle Outdoor-Tourismusarten verlängern.

Fazit: Negativ betroffen ist vor allem der Wintersport. Insgesamt bieten die Klimaveränderungen für die meisten touristischen Teilbereiche wie Städte-, Kultur- oder Gesundheitsreisen jedoch Chancen. Beim Strand- und Badetourismus ist eine Stärkung zu erwarten. Aber auch bei anderen Tourismusformen im Freien steigt mit mehr Wärme und weniger Niederschlag das Potenzial.

Folgen für den Naturzschutz

Die verfügbare Wassermenge ist für die Vegetation entscheidend. In Verbindung mit der Temperatur ist sie für das Wachstum von Pflanzen, Tiere sowie für die Zusammensetzung von Pflanzengesellschaften wichtig. Laut der Roten Liste sind derzeit 30 bis 40 Prozent der Arten Baden-Württembergs gefährdet, auch ohne den zusätzlichen Gefährdungsfaktor Klimawandel.

Ein Teil dieser Arten kann vom Klimawandel womöglich sogar profitieren. Dieser Anteil wird von Fachleuten aber als deutlich geringer eingeschätzt im Vergleich zu den Arten, die durch den Klimawandel gefährdet werden.

Fazit: Die Experten schließen nicht aus, dass bestimmte Lebensräume ganz verschwinden. Vom Klimawandel sind insbesondere die nass-feuchten Lebensräume und Biotope wie Moore betroffen, die verstärkt austrocknen. Der Niederschlagsrückgang im Sommerhalbjahr und die höheren Temperaturen machen sich vor allem in den niedriger gelegenen Naturräumen des Landes bemerkbar. In der fernen Zukunft werden nahezu alle Biotoptypen des Landes als mittel oder hoch anfällig eingestuft. Das betrifft auch den Artenschutz, denn die Vielfalt der Arten kann nur über die Erhaltung der Vielfalt ihrer Lebensräume erreicht werden.

Folgen für Wald- und Forstwirtschaft

Baden-Württemberg zählt mit einem Waldanteil von 38 Prozent an der Landesfläche zu den waldreichsten Bundesländern. Insbesondere für Laubholzarten hat sich die Vegetationszeit zwischen den Jahren 1951 und 2000 um mehr als zehn Tage verlängert. Eine um 19 Tage längere Vegetationsperiode in naher Zukunft (2021 bis 2050) und um 47 Tage in ferner Zukunft (2071 bis 2100) sowie weniger Frosttage wirken sich zwar positiv auf das Baumwachstum aus.

Allerdings können einheimischen Baumarten mit den raschen Klimaänderungen nicht Schritt halten. Jede Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperatur um ein Grad bedeutet eine Verschiebung der Vegetationszonen um 150 bis 300 Kilometer in nördliche Richtung oder um 200 Meter in die Höhe. Nach Trockenperioden sind die Bäume anfällig für Schädlinge. So werden Fichten wesentlich stärker vom Borkenkäfer befallen. Schwammspinner, Eichenprozessionsspinner und Eichenprachtkäfer finden seit 20 Jahren durch den Klimawandel deutlich günstigere Entwicklungsbedingungen.

Fazit: Der Wald ist nur eingeschränkt robust gegenüber der Klimaerwärmung. Die Waldgesundheit, die Vitalität und Stabilität heutiger Waldbestände wird von Experten langfristig  als  hoch  anfällig eingestuft.

Folgen für Stadt- und Regionalplanung

Die Dimension, Anordnung und Gestaltung von Freiräumen, Straßenraum, bebauten Flächen und einzelnen Gebäuden hat erheblichen Einfluss auf Hitze und Durchlüftung. Hitze kann die Menschen schwächen und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten einschränken. Untersuchungen ergaben, dass ab 24 Grad die Produktivität stetig abnimmt. Jenseits der 30-Grad-Schwelle werden die mentale und körperliche Leistungsfähigkeit noch einmal deutlich gemindert. Klimaanlagen sehen die Planer kritisch, weil sie über die Abwärme die urbane Hitze noch verstärken. Grünflächen erfüllen eine wichtige Funktionen für Mikroklima und Wasserhaushalt.

Fazit: Erholungsflächen im Ballungsraum sind ein Schutzgut, das für die Lebens- und Wohnqualität von zunehmender Bedeutung ist und dessen Schädigung sich in mehrfacher Weise negativ auswirken kann. In naher Zukunft (2021 bis 2050) sind folgende Kreise besonders betroffen: Mannheim, Rhein-Neckar, Heidelberg, Heilbronn (Stadt- und Landkreis), Karlsruhe (Stadt- und Landkreis), Pforzheim, Ludwigsburg, Rems-Murr-Kreis, Böblingen, Esslingen und Ortenaukreis. Stuttgart ist weniger belastet.