Thomas Stocker gehört zu den renommiertesten Klimaforschern weltweit Foto: StN

Um die Erderwärmung unter zwei Grad zuhalten bleiben noch 25 Jahre, sagt Thomas Stocker, Co-Präsident einer der drei Arbeitsgruppen des Weltklimarats. Dann ist das global Kohlestoffbudget aufgebraucht. Dann muss der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien geschafft sein.

Stuttgart - Herr Stocker, die EU, die USA und China haben in den vergangenen Wochen neue Klimaziele verkündet. Sind das erste positive Signale für die Verhandlungen in Paris 2015?
Das sind äußerst positive Signale. Die EU hat schon vor vielen Jahren Klimaziele definiert. Aber, dass China und die USA – also ein Entwicklungsland, das heute für die größten Emissionen weltweit verantwortlich ist, und das Land, das zusammen mit Europa den Hauptanteil der historischen Verantwortung für den Klimawandel trägt – gemeinsam ihre Klimaziele benennen, das ist etwas Besonderes. Das ist eine historische Erklärung, das ist vielen nicht bewusst. Hier haben sich zwei ganz unterschiedliche, aber absolut zentrale Schlüsselakteure gefunden. Das wird eine ganz neue Dynamik in den Klimaverhandlungsprozess bringen, zu einem Zeitpunkt wo das auch absolut und bitter notwendig ist.
Was sind die angekündigten Ziele wert? Die USA wollen ihren Treibhausgasausstoß bis 2025 um 28 Prozent senken. Ob dies tatsächlich umgesetzt wird, ist angesichts des Widerstands der Republikaner aber offen, da sie ab Januar beide Kongresskammern kontrollieren.
Das ist das eine. Der andere Aspekt ist das Referenzjahr, das man für den Vergleich zu Grunde legt. Im Fall der USA ist dasReferenzjahr 2005 eben ein Jahr mit sehr hohen Emissionswerten, bei dem dann die 28 Prozent Reduktion nicht mehr sehr ehrgeizig sind.Andere Versprechen, etwa von Deutschland, aber auch das Kyoto-Protokoll beziehen sich immer auf das Jahr 1990 als Basis.
Also sind hehren Klimaziele der USA und Chinas nur Augenwischerei?
Was jetzt auf den Tisch gelegt wird, wird nicht genügen um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Das ist allen klar. Dazu braucht es viel mehr und viel lang anhaltendere Bemühungen. Aber es ist wie bei einer Bergwanderung: Man muss irgendwann einmal ankündigen, dass man das tun will. Und als nächstes muss man den ersten, den zweiten und den dritten Schritt tun. Aber man weiß auch, das man nicht mit einem Sprung auf dem Gipfel dieses Berges ankommen wird, dass es ein langer, beschwerlicher Prozess, des sich Einsetzens, des Weitermarschierens auf diesem Pfad ist. Das ist beim Klima dasselbe: Es braucht lang anhaltende und substanzielle Reduktionen der Treibhausgasemissionen.
Was bedeutet das konkret?
Die Zahlen haben wir im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarates Anfang November erstmals zusammengetragen: Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, beträgt das globale Kohlenstoffbudget 790 Millionen Tonnen. Davon haben wir bis Ende 2013 bereits 535 Millionen Tonnen ausgestoßen. Es bleiben also noch 255 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, den wir in die Atmosphäre blasen dürfen. Angesichts der gegenwärtigen Emissionen von etwa zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff jedes Jahr, bedeutet das, dass wir gerade noch 25 Jahre haben, bis dieses Budget aufgebraucht ist.
Und dann muss 2040 Schluss sein mit fossiler Energie.
Nach dieser Rechnung müsste dann Schluss sein. Man kann natürlich schon vorher den Ausstoß weltweit um fünf Prozent pro Jahr senken – was sehr ehrgeizig ist – und so die Zeit etwas hinauszögern. Aber im Kern geht es hier um die vierte industrielle Revolution. Die erste war die Mechanisierung, dann kam die Elektrifizierung, die dritte haben wir alle mit der Digitalisierung erlebt und jetzt kommt – wenn man das Klimaziel erreichen will – die „Erneuerbarisierung“. Das ist der Übergang weg von den fossilen Brennstoffen zu den erneuerbaren Energien.
Sehen Sie den Willen zu einer Erneuerbarisierung bei den großen Klimasündern?
Die gemeinsame Erklärung der USA mit China ist sicher ein Hoffnungsschimmer: Ein Land wie die USA, das sich über Jahrzehnte nicht bewegt hat. Und ein Land wie China, das einen enormen Entwicklungsschub hinter sich hat, aber einen großen Entwicklungshunger immer noch hat.
China will im Jahr 2030 den Höhepunkt seines Kohlendioxid-Ausstoßes erreicht haben und erst dann seine Emissionen zurückfahren. Bis dahin geht es weiter steil nach oben.
Wie steil das wird, muss man abwarten. Gerade China wird in den nächsten fünf Jahren auch die „dunkle“ Seite der fossilen Emissionen am eigenen Leib massiv erleben. Die Belastung der Luft durch Schadstoffe ist schon heute ein massives Problem, das jeder Einzelne in diesen großen Industrie- und Städtezentren zu tragen hat. Dies wird auch in China selbst eine starke Dynamik entwickeln.
Wie viel Prozent der Klimaerwärmung sind menschengemacht?
Mehr als die Hälfte der Erwärmung der letzten 60 Jahre. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass mehr als die Hälfte der Erwärmung der letzten 60 Jahre durch den Menschen verursacht wurde. Das ist immer noch eine sehr vorsichtige, konservative Formulierung der Klimawissenschaftler, wenn man bedenkt, dass der Klimawandel bereits in allen Komponenten des Klimasystems evident ist: die Erwärmung der Atmosphäre, die Erwärmung des Ozeans bis auf zwei Kilometer Tiefe weltweit, sowie die Ozeanversauerung, das Schmelzen von Grönland und der Antarktis, und der Rückzug der Gletscher und der Meeresspiegelanstieg.
Werden auch wir in Mitteleuropa von extremen Wetterereignissen künftig stärker betroffen sein?
Selbstverständlich. Die Starkniederschläge haben schon jetzt zugenommen. Wir werden bis zum Ende des Jahrhunderts in Zentraleuropa etwa zehnmal so viele Hitzewellen erleben, wie derzeit. Bei unlimitiertem Klimawandel werden diese sogar 20 mal häufiger auftreten. Auch von den tropischen Nächten, in denen es nachts nicht unter 20 Grad abkühlt und die im Moment noch sehr selten sind – vielleicht ein bis zwei mal pro Jahr, werden wir hierzulande dann schon über ein Dutzend pro Jahr haben.
Was kann man gegen den Klimawandel tun?
In einem demokratischen Land empfehle ich zu allererst: Geht wählen und abstimmen. Man muss sich in der politischen Landschaft daran gewöhnen, dass wir unsere Entscheidungen nicht nur an den finanziellen Möglichkeiten ausrichten, also ob man sich etwas leisten kann, ob es Schulden nach sich zieht. Wir müssen uns künftig genauso die Frage stellen, ob eine Entscheidung klimaverträglich ist. Da braucht es eine Betrachtung eben nicht nur über die vier Jahre einer politischen Amtsperiode sondern über mehrere Jahrzehnte.
Glauben Sie ernsthaft an die Vereinbarung eines verbindlichen Klimaziels 2015 in Paris?
Sie kennen die Aussage, die Hoffnung stirbt zuletzt. . . Ernsthaft: die Anzeichen standen noch nie so gut wie jetzt. Neben der gemeinsamen Ankündigung von China und den USA gibt es auch viele global tätige Firmen sowie große Finanzdienstleister, die eine globale CO2 Steuer öffentlich befürworten.
Muss man als Klimaforscher ein unbelehrbarer Zweckoptimist sein?
Ich bin optimistisch, dass in Paris etwas herauskommen wird. Aber ich bin auch realistisch genug, dass ich die Hürden sehe. Es muss einen bindenden Vertrag geben, also etwas, das auch mit Sanktionen belegt ist, wenn Reduktionsziele nicht erreicht werden. Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es, die bestmöglichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Das haben wir mit dem Synthesebericht des IPCC vor drei Wochen getan. Den Ländern muss klar sein, dass beim Klimaschutz Optionen nur verschwinden, es kommen keine neuen dazu. Unser Handlungsspielraum kennt nur eine Richtung – nämlich geringer zu werden.

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