Beim Gipfel in Paris Ende des Jahres muss ein neuer Weltklimavertrag zustande kommen: „Mehr als zwei Grad Erwärmung werden die Menschen auf diesem Erdball kaum verkraften.“ Foto: dpa

Deutschland will sich beim G7-Gipfel Anfang Juni in Elmau wieder als Vorreiter in Sachen Klimaschutz positionieren. „Wir können zeigen, dass Klimaschutz auch wirtschaftlich funktioniert – und so andere ermutigen“, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Berlin - Frau Hendricks, im November hatte Ihr Parteichef Sigmar Gabriel noch davon gesprochen, ein Kohleausstieg zeitgleich zum Atomausstieg sei wirtschaftlicher Selbstmord. Jetzt soll das nationale Klimaziel, die Treibhausgase um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, auch dadurch erreicht werden, dass für über 20 Jahre alte Kohlekraftwerke eine Verschmutzungsabgabe fällig wird. Woher der Sinneswandel?
Das ist kein Sinneswandel. Wir wollen keinen gleichzeitigen Ausstieg aus Atom und Kohle. Die Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums gehen ja dahin, dass bis 2020 für 90 Prozent der Kohlekraftwerke diese Klimaabgabe gar nicht fällig wird. Wir leiten einen langfristigen Prozess hin zu den erneuerbaren Energien ein.
Wenn Sie das deutsche Klimaziel erreichen wollen, muss der Emissionshandel wieder in Schwung kommen. Derzeit kostet eine Tonne Kohlendioxid etwa sieben bis acht Euro, so viel wie eine Pizza. Wie teuer muss es werden?
Wir haben uns in der EU gerade auf die Reform des europäischen Emissionshandels geeinigt. Der Ausstoß von Kohlendioxid wird damit mittelfristig auch wieder teurer. Wie teuer genau, will ich nicht abschätzen. Aber ein ordentliches Tellergericht sollte man dafür bekommen, um im Bild zu bleiben. Seit Frühjahr 2014 werden schrittweise rund 900 Millionen Verschmutzungszertifikate vom Markt genommen. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, diese Zertifikate auch nicht wieder in den Markt zurückzugeben. Das genügt aber noch nicht. Wir haben immer noch fast zwei Milliarden Verschmutzungszertifikate zu viel auf dem Markt. Aber ab 2019 greift die Reform und wird diese Überschüsse schrittweise abbauen. So bekommen wir nach und nach wieder einen richtigen CO2-Markt mit echten Anreizen für den Klimaschutz.
Deutschland will wie schon 2007 in Heiligendamm auch beim G-7-Gipfel in wenigen Wochen in Bayern wieder Klimavorreiter sein. Womit wollen Sie die Welt beeindrucken?
Unsere Energiewende und unsere konkreten Klimaschutzbemühungen werden international genau verfolgt. Damit können wir zeigen, dass Klimaschutz auch wirtschaftlich funktioniert – und so andere dazu ermutigen, sich ebenfalls auf diesen Weg zu begeben. Wenn wir es beim G-7-Gipfel schaffen, eine positive Vision einer klimaneutralen Gesellschaft zu entwerfen mit einem langfristigen Ziel, wäre das ein starkes Signal für die Klimaverhandlungen. Sie können davon ausgehen, dass die Bundeskanzlerin wie auch die gesamte Bundesregierung dem Klimaschutz auch bei diesem G-7-Gipfel hohen Stellenwert einräumt. Die G-7 können für die Weltgemeinschaft im Rahmen der Vereinten Nationen nichts beschließen, aber sie können einen Prozess in Gang bringen.
Sie haben ja beim letzten UN- Klimagipfel in Lima selbst die Erfahrung gemacht, wie die Weltgemeinschaft drei Wochen um sich kreist und am Ende nur sehr vage Zusagen für den nationalen Klimaschutz beschließt . . .
. . . so schlecht war die Konferenz in Lima nicht. Wir haben immerhin eine Verhandlungsgrundlage beschlossen, auf der wir für die Konferenz in Paris Ende des Jahres aufbauen können. Wir wollen und müssen im Pariser Abkommen festlegen, dass wir die Erderwärmung auf maximal zwei Grad begrenzen. Sonst steht unter anderem die Existenz ganzer Staaten, die von Überschwemmung bedroht sind, auf dem Spiel. Mehr als zwei Grad Erwärmung werden die Menschen auf diesem Erdball kaum verkraften. Optimistisch stimmt mich, dass die Konferenz in Paris sehr viel besser vorbereitet ist als Kopenhagen 2009. Das betrifft die Verhandlungen selbst. Das betrifft aber vor allem auch die Möglichkeiten, die es heute für den Klimaschutz gibt. Dezentraler Strom aus Solarenergie zum Beispiel ist heute überall auf der Welt günstiger als Strom aus Dieselaggregaten.
Wenn die Weltgemeinschaft in Paris keinen Weltklimavertrag schafft, was dann?
Ich bin optimistisch. Anders als noch vor fünf Jahren bewegen sich inzwischen auch China und die USA beim Klimaschutz. Diese beiden Staaten werden andere Ländergruppen mitziehen. Die Konferenz von Paris wird ein Erfolg für das Weltklima.
Zurück ins eigene Land. Deutschland sucht weiter nach einem geeigneten Standort für ein Atommüllendlager. Bis wann muss Deutschland ein solches Endlager haben?
Bis spätestens Mitte 2016 soll die Endlagerkommission die Kriterien vorlegen, nach denen ein Standort für ein solches Endlager gesucht wird. Die Suche nach einem Standort soll dann bis 2031 abgeschlossen sein. Bis zur Planung und Errichtung eines Atommüllendlagers werden noch einmal einige Jahre vergehen. Ich gehe davon aus, dass wir nicht vor 2050 damit beginnen können, Atommüll in einem Endlager mit der bestmöglichen Sicherheit einzulagern. Diese schrittweise Befüllung des Endlagers wird nochmal mehrere Jahrzehnte dauern.
Wohin soll der strahlende Müll bis dahin? Rollen weiter Castoren?
Der Atommüll bleibt zunächst in den genehmigten Zwischenlagern an den AKW-Standorten. Und es stehen auch noch einige Transporte von Castoren an, die wir aus den Wiederaufbereitungsanlagen in Großbritannien und Frankreich zurücknehmen müssen.
Es soll ja keine weißen Flecken mehr auf der Landkarte geben. Die Suche: ergebnisoffen. Haben Sie den Eindruck, dass die einstigen Atombefürworter in Bayern und Baden-Württemberg schon begriffen haben, dass ein sicherer Standort auch bei Ihnen gefunden werden könnte?
Allen muss klar sein, dass die Suche, basierend auf wissenschaftlichen Kriterien, ohne Vorfestlegungen erfolgen soll. Keine Region und kein Standort sind von vornherein ausgenommen. Dort, wo aufgrund der Suchkriterien ein Endlager möglich wäre, müssen sogenannte Veränderungssperren erlassen oder gleich wirksame rechtliche Instrumente geschaffen werden, damit nicht zum Beispiel durch den Abbau von Steinen oder Salzen der Standort verändert wird. Für Gorleben gibt es bereits eine solche Veränderungssperre, die verlängert wird, weil Gorleben nicht vor dem kriterienbasierten Vergleich mit anderen Standorten aus dem Verfahren ausscheiden darf.
Was, wenn die Milliarden-Rückstellungen der vier großen Atomkonzerne nicht reichen, um den Rückbau der Anlagen zu bezahlen? Springt dann der Staat ein?
Die Kosten für die Stilllegung der Atomkraftwerke, deren Rückbau und für die Entsorgung des Atommülls tragen die Energieversorgungsunternehmen, die Atomkraftwerke betreiben. Das ist verursachergerecht. Die AKW-Betreiber sind auch für die Kostenabschätzungen zuständig. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums belaufen sich die Rückstellungen auf über 36 Milliarden Euro. Ob die finanziellen Mittel ausreichen, darüber will die Bundesregierung Gespräche mit den Betreibern führen. Für uns ist wichtig, dass die Gelder dann zur Verfügung stehen, wenn sie tatsächlich gebraucht werden. Im Übrigen hat der Kollege Gabriel vor kurzem angekündigt, dass das Wirtschaftsministerium die Rückstellungen überprüfen will. Dabei soll auch die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds geprüft werden, in den die Rückstellungen oder zumindest ein Teil davon überführt werden könnten.