Die Kleine Tierschau: Volle Fahrt voraus in die Schleyerhalle Foto: StN

Die Kleine Tierschau feiert den 30. Geburtstag in der Schleyerhalle - Joe Bauer erinnert sich.

Stuttgart - Sie sind Süddeutschlands kurioseste Rock'n'Roll-Band, waren Pioniere der Comedyszene. Am 8. Januar feiert die Kleine Tierschau 30. Geburtstag in der Schleyerhalle. Ein paar Erinnerungen.

Ich saß im Willi, einer Kneipe in Kreuzberg. Es war 1983, morgens 14 Uhr. Ein Kleinbus fuhr vorbei, sah aus, als hätte er zehn Jahre Verspätung. Die Kiste war bemalt wie die Berliner Mauer. Von der Band hatte man nur gerüchteweise auch in Stuttgart gehört. Ihre Bühne war seinerzeit die Königstraße. An diesem Tag in Kreuzberg fuhr der Bus Richtung Kurfürstendamm, und diese Adresse war in der sogenannten Alternativszene verhasst. Der Boulevard des Westens galt als Pommes- und Touristenpiste.

Der Schwabe Albrecht Metzger - er hatte es als Politrocksänger, Kabarettist und Moderator der legendären ARD-Show "Rockpalast" zu einer gewissen Berühmtheit gebracht - lebte in Berlin und schickte die Tierschau mitten ins Fegefeuer der gerade aufkeimenden deutschen Comedyszene. Man benutzte damals noch nicht das Wort Comedy, sprach hilflos von SpaßKabarett und Clownstheater. Die Tierschau spielte aufs Metzgers Vermittlung einige Tage im maroden Ku'damm-Kino Hollywood.

"Landfunk und Scheunentrash": Kuhmist im Theaterhaus

Seltsamerweise war es meine erste Begegnung mit Michael Gaedt, Michael Schulig und Ernst Mantel. Die Herren waren nämlich mal meine Nachbarn gewesen, ohne dass ich es wusste. Die Geheimnisse des Showbusiness hatten sie in den Musikkapellen von Heuchlingen, Böbingen und Heubach auf der Ostalb erforscht. In Berlin setzten sie dem Publikum elektronisch gesteuerte Bauhelme auf und trommelten darauf Karibik-Rhythmen. Diese Nachricht verbreitete sich in der geteilten Stadt schneller als gedacht. Das Hollywood war ausverkauft, das Publikum tobte, und der deutsche Süden erschien wilder als in der Radiowerbung.

Mehr als zehn Jahre später, als die Tierschau mit dreistimmigen Gesängen und schrägen Sketchen längst Hallen füllte, war das Theaterhaus in Wangen Dreh- und Angelpunkt der neuen Komik. Der gut gebaute Mann an der Kasse, in Erinnerung an den österreichischen VfB-Star Hans Ettmayer "Buffy" genannt, lächelte erhaben. Die Tickets gingen im Dutzend weg, und die Touristenbusse vor dem Theaterhaus wirkten im Vergleich zur alten Tierschau-Karre wie die S-Klasse aus Untertürkheim.

Die Tierschau nannte ihre Show "Landfunk und Scheunentrash". Damit ködert man Kawasaki-Fahrer aus den Dörfern und Kinder aus den städtischen Discos. Die Show stank zum Himmel. Man hatte Kuhscheiße und Stinketücher ins Haus gefahren. Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier schwang eigenhändig die Mistgabel. Zur besseren Entfaltung der Duftnote trällerte das Trio mit Engelszungen die Pophits geföhnter Kollegen: "Abba jetzt!" Das Publikum im monatelang überfüllten Theaterhaus schwelgte im Wir-Gefühl.

2009 traf sich die Tierschau vor Gericht

Wenn die basisdemokratisch geführte Ostalb-Bande zwei Dutzend Instrumente auf die Bühne schleppte, sah es aus, als habe sie Dreschflegel und Pferdegeschirr aus dem Schuppen geholt. Ihre Kostümabteilung, von den eigenen Frauen geführt, benötigte mehr Platz als die einer Diva. Dass die Herren Gaedt, Mantel und Schulig anscheinend besser zusammenhielten als eine übliche Beziehungskiste, mag man heute als Akt wunderbarer Unkompliziertheit deuten. In Wahrheit pflegten sie einen harten Dreier.

Eines Tages, es war schon in den Neunzigern, fuhr ich im Schlepptau der Tierschau mit nach New York. Dort trainierte die Tierschau in den Unterrichtsstudios am Broadway für eine neue Show. Die Band hatte zuvor bereits im Big Apple gespielt, in der Show des Punksängers und Entertainers Buster Poindexter, einst Kopf der legendären New York Dolls.

Einmal setzte ich mich im Studio hinter die Scheibe und schaute zu, wie die Herren für 20 Dollar pro Stunde mit Hausfrauen und Kindern den Anweisungen des Ballettlehrers folgten. Beeindruckt hat mich ihre Gründlichkeit nach der Devise: Der Zufall darf schon mal mitspielen, aber besser ist es, man hat die Welt im Griff. So reiste man für ein paar Turnübung nach Amerika; in diesem Fall ging es um die ersten Hip-Hop-Schritte auf Stuttgarter Boden. In dieser Band mischten sich schwäbische Querköpfigkeit, Perfektionismus und Größenwahn.

Gaedt bastelte pausenlos

Folgerichtig schleppten die drei Musik-Clowns neben exotischen Klamotten ständig neue Höllenmaschinen auf die Bühne. Gaedt, gelernter Steinmetz, tüftelte und bastelte pausenlos. So steppten die Herren auch mal zum lieblichen Sound einer getunten Dampfwalze. Gleichzeitig präsentierten sie Textzeilen, die in ihrer Präzision verblüfften: "Kleider machen Schneider."

Der Erfolg der Tierschau war nur schwer zu erklären, auch nicht mit ihren Radiohits "Lieber doof sein, als Gabi heißen" und "Campari pur". Das Ganze war ein Mitmachspiel ausgefuchster Animateure, die selbst nicht immer begriffen, warum der Laden verrückt spielte: Horst tapperte eben im Dunkeln, bis Derrick schwarz wurde. Entscheidend für die phänomenale Begeisterung war wohl die Meinung des Publikums: "Eigentlich können wir das auch."

Im Lauf der Jahre krachte es jedoch immer öfter in der Band. Ernst Mantel, als exzellenter Wortspieler fürs Feine zuständig, überwarf sich mit den beiden Kollegen. 2009 löste sich die Band auf, die Mitglieder trafen sich vor Gericht. Man stritt um die Namens- und Urheberrechte. Es kam zu einem regelrechten Rosenkrieg. Ein Kompromiss schien nicht möglich.

Inzwischen, nach finanziellen Arrangements, dürfen sich Gaedt & Schulig wieder Die Kleine Tierschau nennen. Sie wurden größer und lauter, holten sich neue Musiker und Tänzerinnen als Verstärkung und inszenierten eine Show, von der sie immer geträumt hatten: Rock auf Teufel komm raus. Wild, hart und lustig. Da war es nur konsequent, die Gigantomanie auf die Spitze zu treiben: Am 8. Januar 2011 steigt die Jubiläumsorgie zum 30. Geburtstag mit Stargästen in der Schleyerhalle - wo sonst.