Auch das Verwaltungsgericht in Stuttgart klagt über zu viele Fälle und zu wenige Richter. Foto: Natalie Kanter

Im Jahr 2017 nimmt die Zahl der Klagen von Asylbewerbern gegen ihre Bescheide noch einmal deutlich zu. Die Verwaltungsrichter kommen kaum noch nach, auch weil die Kommunikation mit dem Bundesamt für Migration schwierig ist.

Stuttgart - Die vier Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg sind mit einer rasant steigenden Zahl von Asylrechtsklagen konfrontiert. Im ersten Halbjahr 2017 haben laut einer vorläufigen Statistik des Verwaltungsgerichtshofs landesweit 26 165 Flüchtlinge gegen ihre Bescheide geklagt. Das sind annähernd so viele wie in den beiden Vorjahren zusammen, als die Zahlen ebenfalls schon angestiegen waren. Der Justizminister Guido Wolf (CDU) nennt die Zunahme „dramatisch“. Die hohen Flüchtlingszahlen des Jahres 2015 wirkten sich „nun voll auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes aus“.

Wolf kündigt an, zusätzliche Richterstellen zu beantragen. Doch der Personalaufbau kann mit der steigenden Belastung nicht Schritt halten. Beispielsweise erhöhte sich die Zahl der Richter am Verwaltungsgericht in Sigmaringen seit 2016 von 20 auf 30. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres konnten 1383 Fälle erledigt werden. Gleichzeitig gingen jedoch 3852 neue Fälle ein. Landesweit seien zur Jahresmitte noch 27 110 Verfahren anhängig gewesen, sagt ein Sprecher des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs (VGH). Bundesweit soll die Bugwelle unerledigter Fälle bei 250 000 liegen. „Wir stoßen komplett an unsere Grenzen“, sagt Robert Seegmüller, die Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter.

Die Marke von 1993 fällt

Beim Verwaltungsgericht in Freiburg wird erwartet, dass auch der bisherige Spitzenwert aus dem Jahr 1993 übertroffen wird. Damals waren bei den Freiburger Richtern 5879 Asylklagen eingegangen. Jetzt seien es in sechs Monaten bereits 4458. Dabei war die Situation 1993 wesentlich komfortabler, weil das Freiburger Gericht noch 37 Richter zählte. Heute sind es acht weniger. Der Personalbedarf sei gegenwärtig nur zu 60 Prozent gedeckt. Auch seien die Fälle deutlich komplexer als in den 90er Jahren. Damals stammten drei Viertel der Asylbewerber aus Südosteuropa. Ihre Chancen waren gering. Heute klagten vor allem Menschen aus Gambia, Afghanistan, Syrien und Irak, wo die Menschenrechtssituation eine zeitaufwendige Bearbeitung nötig mache. Entsprechend höher seien die Erfolgsaussichten. Der Sprecher des Verwaltungsgerichts in Sigmaringen, Otto-Paul Bitzer, schätzt, dass 25 Prozent der Kläger zumindest teilweise ihr Ziel erreichten. In dieser Zahl spiegeln sich auch die Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wider. Dort hatte man in kurzer Zeit eine Vielzahl von Entscheidern angelernt. Die Qualität vieler Bescheide lasse nun zu wünschen übrig. Anhörungen seien unzureichend dokumentiert und inhaltlich unvollständig.

Telefonische Rückfragen der Gerichte beim BAMF endeten in endlosen Verweisungsketten. „Viele Richter haben es aufgegeben, Kontakt mit dem Bundesamt aufzunehmen“, heißt es im Stuttgarter Justizministerium. Bei allem Verständnis für die großen Herausforderungen, denen sich das BAMF gegenüber sehe: „Die Art und Weise, wie dort in zahlreichen Fällen die Prozessvertretung im Gerichtsverfahren wahrgenommen wir, ist inakzeptabel“, sagt Guido Wolf. Die Verfahren würden massiv verzögert. „Wir entwickeln uns zu reinen Asylgerichten“, stellt die Chefin des Stuttgarter Verwaltungsgerichts, Gudrun Schraft-Huber, fest. Klagen gegen versagte Baugenehmigungen, die Aberkennung eines Führerscheins oder die Einziehung der Fernsehgebühren sind längst Randerscheinungen. Sie machten an den vier Verwaltungsgerichten im ersten Halbjahr kaum noch 20 Prozent aus.

Andere Klagen fallen kaum noch ins Gewicht