Streiksitzung vor dem Ufa-Palast: Durchhalten bis sich was bewegt Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Konflikt um eine bessere Bezahlung im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst wird schärfer. Am ersten Tag des unbefristeten Streiks haben sich am Freitag rund 1400 Streikende in die Streiklisten eingetragen.

Stuttgart - Es gibt Kaffee und kalte Getränke, Brötchen, Brezeln und heiße Würstchen. Von neun Uhr an liegen am Freitag im Ufa-Plast im Stuttgarter Osten die Streiklisten aus. Streikende, die sich dort eintragen und bei Verdi organisiert sind, bekommen ihren Verdienstausfall von der Gewerkschaft ersetzt. Die Schlangen vor den Tischen sind lang. 1396 Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiter und Mitarbeiter der sozialen Dienst aus Stuttgart tragen sich ein. Die Zeichen stehen nach fünf Verhandlungsrunden „ohne verhandelbares Ergebnis“ auf Kampf. Die meisten halten den unbefristen Streik für rund zehn Prozent mehr Gehalt und für eine Aufwertung ihres Berufs für in Ordnung. Bei der anschließenden Streikversammlung im Kinosaal 9 im zweiten Stock des Ufa-Palasts sind wesentlich weniger Streikende. Was dort abläuft, könnte den Filmtitel haben: „Streiken bis zum Erfolg“.

Notdienste: Schwerpunkt des ersten Streiktags am Freitag ist Stuttgart. 143 von 184 Kindertagesstätten sind dicht. In Stuttgart sind laut Verdi in etwa 13 Kindertagesstätten Notdienste eingerichtet. Pro Tagesstätte betreut eine Fachkraft eine Gruppe mit 17 Kindern. Verdi-Geschäftsführer Cuno Hägele schmeckt das zwar nicht. Er fürchtet aber, dass ein Verzicht auf die Notdienste die Öffentlichkeit gegen die Forderungen der Streikenden aufbringt. Die Erzieherinnen wollen statt zwischen rund 2366 bis 3732 Euro 2589 bis 3962 Euro brutto im Monat haben. Die Sozialarbeiter fordern 2879 bis 4318 Euro statt höchsten knapp 4000 Euro im Monat wie bisher. „ Die höhere Eingruppierung ist überfällig. Immerhin haben wir für unsren Beruf studiert“, raunt eine Sozialarbeiterin ihrer Nachbarin während der Streikversammlung zu. Wie es kommende Woche mit den Notdiensten in Kitas weitergeht, will einer Erzieherin wissen. „Sie sollen aufrecht erhalten werden, aber die Orte können wechseln“, stellt Hägele fest. Eine Erzieherin will wissen, wie die Eltern in dem Fall informiert werden. „Über die Presse“, die zu informieren sei Sache der Stadtverwaltung meint Hägele.

Die Gewissensfrage. Ob sie ein schlechtes Gewissen haben, weil viele Eltern nicht wissen, wohin mit ihren Kindern und auch die Arbeit der Sozialarbeter und sozialen Dienste liegen bleibt, verneinen alle Befragten. „Unsere Bezahlung ist nicht in Ordnung. Vor allem die Kollegen, die neu eingestellt wurden, sind schlechter eingruppiert als wir älteren Mitarbeiter“, sagt zum Beispiel Peter Korner (44), Sozialarbeiter am städtischen Klinikum. Erzieher Julian Prenzlin (30) aus Stuttgart stellt fest, dass viele Eltern Verständnis für den Streik haben und sich in der Zeit selbst organisieren. „Das Einkommen ist so schlecht, dass man damit keine Familie gründen kann“, sagt ein Kollege. „Schlechtes Gewissen? Warum?“ fragt Selina Braun, Erzieherin in Stuttgart. Streik ist nicht ungesetzlich. Wir müssen für unsere Forderungen eintreten, sonst passiert nichts.“ Außerdem müsse ihr Beruf auch über das Gehalt für junge Männer und Frauen attraktiv gemacht werden, fordert sie.

Die Verständnisfrage: Nicole Oster (39) gehört zu den Eltern mit Verständnis. „Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher haben sich gewandelt. Gemessen daran wird in dem Beruf und auch den anderen sozialen Sparten zu wenig verdient“, sagt sie. Die beiden kommenden Wochen hat sie durchorganisiert. Sie und andere Mütter wechseln sich in der Kinderbetreuung ab. Das ist möglich weil Oster in Teilzeit arbeitet. „Angst habe ich nur davor , dass über den 21. Mai hinaus gestreikt wird. Denn dann weiß ich mir wirklich keinen Rat mehr“, gesteht sie.

Der Fahrplan: . Druck machen, Druck machen, Druck machen heißt die Devise. Wenn bis zum 21. Mai keine Einigung erzielt ist, stehen die Zeichen derzeit auf einer Fortsetzung des Streiks. „Eine Welle geht durchs Land, auf der wir zum Erfolg schwimmen“, schwört Hägele die Streikenden aufs Durchhalten ein. Das Treffen am gestrigen Freitag sei nur der Auftakt, die Ouvertüre. „Am Montag rocken wir die Stadt“, kündigt er an. Verdi erwartet dann rund 3000 Teilnehmer. Am Dienstag ist eine Demonstration in Schorndorf geplant.

Der kommende Montag: Am 11. Mai ist das Streiklokal wieder im Ufa-Palast. Dort startet um 11.30 Uhr der Demonstrationszug durch die City. Es geht von der Rosenstein- über Nordbahnhof- und Heilbronner Straße zur Bolzstraße und zum Rathaus. Gegen 12.15 Uhr ist dort die Kundgebung.