In Todtnauberg findet am Sonntag das Schwarzwälder Tortenfestival statt. Der erfolgreichste Teilnehmer dieser Veranstaltung ist Siegfried Brenneis. Ein Besuch in seiner Backstube.

Todtnauberg/Mudau - Siegfried Brenneis fliegt vom Kühlraum in die Backstube, von der Backstube zurück in den Kühlraum und dann wieder in die Backstube. Mal hält er dabei eine Schüssel geschlagener Sahne in den Händen, mal einen mit Kakao gebräunten Biskuitboden und mal eine Schale alkoholgetränkter Kirschen. Siegfried Brenneis fliegt natürlich nicht wirklich, das kann nicht mal er. Aber wie er auf den profillosen Sohlen seiner Arbeitsschlappen über die glatten Fliesen seines Arbeitsplatzes rutscht, das sieht schon sehr leichtfüßig aus. Und trotzdem kein Vergleich zu dem, was er tut, nachdem er den Kühlraum ein letztes Mal verschlossen hat und sich an der Anrichte in seiner Backstube in Position gebracht hat: Zack, sticht er kleine Kreise aus dem gebräunten Biskuitboden. Flupp, verteilt er die alkoholgetränkten Kirschen dazwischen und schwupp, verkleidet er die fülligen Schichten mit der geschlagenen Sahne. Noch ein bisschen Deko auf den Deckel – fertig ist die Schwarzwälder Kirschtorte. Also gut, die Schwarzwälder Kirschtorte to go. So hat Siegfried Brenneis die Kreation genannt, die in einer Tasse Platz findet, in der sonst Milchkaffee serviert wird. Handlich, praktisch und auch: sehr lecker!

Man ahnt also schon nach wenigen Minuten in Siegfried Brenneis’ Backstube, dass der Mann, der nicht nur Bäcker- und Konditormeister ist, sondern auch sensorischer Sachverständiger von Brot/Brötchen und von feinen Backwaren, auch noch das werden musste: Botschafter der Schwarzwälder Kirschtorte. Diesen Ehrentitel hat ihm die Tourismus-Gesellschaft des Hochschwarzwalds verliehen, die auch das Schwarzwälder-Kirschtorte-Festival veranstaltet. Am Sonntag findet es zum siebten Mal in Todtnauberg statt. Klar, dass Siegfried Brenneis gerade ein besonders gefragter Mann ist.

Die Residenz des Botschafters steht in Schloßau, was ein Ortsteil von Mudau ist, was wiederum 30 Kilometer von Mosbach entfernt liegt. In Schloßau leben um die 1000 Menschen, und außer einem Arzt gibt es noch die Bäckerei Münkel, die zugleich ein Tante-Emma-Laden ist. Während vorne die Kunden Waschmittel, Bohnen im Glas, Brezeln oder Dinkelbrot kaufen, schiebt hinten Siegfried Brenneis frische Backwaren in den Ofen und denkt sich neue Kreationen aus. Ein Brot namens Naturpark-Kruste zum Beispiel, bei dem nur regionale Zutaten in den Teig kommen. Oder einen Roggenbauernsnack als gesunde Alternative zur Pizzatasche. Oder einen Mini-Stollen mit getrockneten Kirschen, für den er den amerikanischen Cherry-Award gewonnen hat. „In meinem Kopf spukt immer was rum“, sagt Siegfried Brenneis mit einer Stimme, die so freundlich klingt, wie die Landschaft des Odenwalds einladend ist.

Die Bad Godesberger Legende

Als Botschafter der Schwarzwälder Kirschtorte gehört es zu seinen Aufgaben, den Ruf der Torte zu mehren. „Damit sie in aller Munde bleibt“, scherzt der 51-Jährige. Also präsentiert er den Bäckern in seinen Seminaren immer auch Rezepte rund um die Schwarzwälder. Und wenn er mit seinem Landesinnungsverband einen repräsentativen Termin hat, sieht er zu, dass er die Torte in das Programm integriert. Wie jüngst auf der Grünen Woche, wo er sie in der To-go-Version kredenzte.

Aber in Wahrheit wird man schon dann ganz scharf auf die Süße, wenn man Siegfried Brenneis einfach nur über sie reden hört. „Erst schmeckt man das Kirschwasser in Verbindung mit der Sahne“, sagt er mit halb geschlossenen Augen. „Dann“, schwärmt er weiter, „kommt die Kirschfüllung dazu, und schließlich“, führt er seine Beschreibung sanft mit der Zunge schnalzend zu Ende, „der schokoladige Geschmack vom Boden. Dieses Zusammenspiel, diese Geschmackskomposition – das ist einfach wunderbar.“

Die Legende will es, dass dieser Traum in Kirsch und Wasser im rheinländischen Bad Godesberg erfunden worden ist. In einem Café namens Agner, von einem Schwaben namens Josef Keller. Keller war um 1915 auf die Idee gekommen, das im Agner beliebte Dessert Schlagsahne mit Kirschen mit einem Boden zu versehen und der Kreation Kirschwasser beizugeben. Wie die Torte zu ihrem Namen kam, ist Teil ihrer Legende. Rührt er von den dekorativen Schokoraspeln, die an den dunklen Tann erinnern? Ist er dem Kirschwasser geschuldet, von dem es im Schwarzwald besonders viel gibt? Oder sind die zierenden Kirschen eine Verbeugung vor dem Bollenhut? Sicher ist (angeblich) nur, dass Josef Keller anno 1919 mit seinem Meisterbrief nach Radolfzell an den Bodensee zog, dort seine Schwarzwälder Kirschtorte in seinem eigenen Café anbot und bis zu seinem Tod im Jahr 1981 den Anspruch erhob, der Erfinder der bekanntesten Torte der Deutschen zu sein.

Eine tourismuswirksame Show

Siegfried Brenneis hat schon eine Schwarzwälder Kirsch in der Form eines Fußballs kreiert (zur WM 2010), eine in der Form eines Herzens (zum Muttertag) und eine, die über mehrere Stockwerke reichte (einfach so halt). Brenneis hat beim Festival in Todtnauberg nicht nur insgesamt sechs Goldmedaillen für seine tollen Torten gewonnen, sondern auch vier Zusatzmedaillen in der Kreativkategorie. „Man muss schon ein bisschen backverrückt sein “, sagt der erfolgreichste Teilnehmer aller Festivalzeiten. Aber vielleicht hat ja auch das Magazin der Deutschen Innungsbäcker recht, in dem zu lesen ist: „In seinen Adern fließt kein Blut, sondern Teig.“

Auf jeden Fall hat Siegfried Brenneis bereits gerne gebacken, als er noch klein war. Damals vorzugsweise Marmorkuchen und, zur Adventszeit, Plätzchen. Als er größer wurde, ließ er sich zum Profibäcker ausbilden. Und nachdem er seine Meistertitel und sämtliche Zusatzqualifikationen hatte, die er sich vorstellen konnte, ging die Sache mit den Zusatzreizen los. Mit seinem 24-Stunden-Christstollen-Backen landete er im Guinness-Buch der Rekorde, für seine Nachbildung des Heidelberger Schlosses aus Brotteig holte er den Bread World Cup und wurde in die Nationalmannschaft der Bäcker aufgenommen, deren Teamchef er inzwischen ist. Kaum zu glauben, dass dieser Mann, der verheiratet ist und zwei Töchter hat, bei seinem ersten Antritt in Todtnauberg so aufgeregt war, dass er kaum die Kirschen auf die Rosette bekam.

Andererseits ist das Festival halt auch kein Zuckerschlecken. Gerade mal 20 Minuten haben die rund 30 ausgesiebten Zuckerbäcker, Profis wie Amateure, Zeit, eine Schwarzwälder Kirschtorte zu vollenden, die vor einer anspruchsvollen Jury bestehen muss. Seit die tourismuswirksame Show 2004 ihre Premiere erlebte, war das Kurhaus noch jedes Mal gerammelt voll. Auch das Fernsehen ist selbstverständlich dabei. Und wenn es besonders hart kommt, dann ist auch noch das Wetter besonders schön und die Bäcker auf der Bühne müssen schauen, dass ihnen ihre Torten bei 30 Grad nicht davonlaufen. „Das ist Backen auf höchstem Niveau“, sagt der Botschafter über das Festival, für das sogar eine Hymne komponiert wurde: das Kirschtortenlied. „Schwarzwälder Kirschtort’ bringt Laune und Schwung, das weiß jeder Schwarzwälder, alt oder jung“, heißt es im Refrain. Wie zum Beweis wird das Wettbewerbsgebäck nach der Prämierung unter die Zuschauer gebracht.

Siegfried Brenneis wird sein Können in Todtnauberg nicht mehr unter Beweis stellen. Zu seinem Leidwesen kann er nicht einmal dabei sein. Ein überraschender Großauftrag und personeller Engpass haben ein würdevolles Ausklingen seiner Amtszeit unmöglich gemacht. „Da kann man nichts machen“, sagt der Backstubenchef gefasst, der wenigstens bei der Ernennung zum Botschafter eine besondere Bekanntschaft machte: die von Heidi Keller, der Enkelin des legendären Josef Keller. Ins Kurhaus brachte sie vor zwei Jahren auch das fast 100 Jahre alte Rezeptbuch ihres Großvaters aus Bad Godesberger Zeiten mit, das ungeachtet des Auftauchens einer weiteren Legende sehr bewundert wurde.

Ein diplomatischer Botschafter

Der Tübinger Stadtarchivar Udo Rauch sorgte 2007 mit der Feststellung für Aufsehen, die Schwarzwälder Kirschtorte habe ihren Ursprung in Tübingen. Dort, im Café Walz, habe sie ein gewisser Erwin Hildenbrand 1930 erstmals gebacken. Zwei Jahre später sei sie auf dem Landeskonditorentag vorgestellt worden. Der Archivar hat mit Zeitzeugen gesprochen, deren Schilderungen auf ihn glaubwürdig wirkten, er sah ein Foto Hildebrands mit einer Schwarzwälder Kirschtorte, und in allen Fachbüchern, die er fand, war die erstmalige Erwähnung des Zuckerwerks auf das Jahr 1934 datiert, also fast 20 Jahre nach der Legende von Bad Godesberg. Dazu scheint zu passen, dass das Conditorei-Museum in Kitzingen bei seinen Nachforschungen zwar auf einen Josef Keller stieß, der um 1915 Konditorlehrling in Bonn war. Jedoch lernte er nicht im Café Agner, und der Geburtsort sowie Geburtstag passten auch nicht zum gesuchten Josef Keller.

Aber wie sagt der Botschafter Siegfried Brenneis diplomatisch: „Die Herkunft ist nebensächlich. Seien wir einfach froh, dass es die Torte gibt.“

Bevor sich Siegfried Brenneis 2004 auf das erstes Festival wagte, hat er monatelang trainiert. Wie gelingt der perfekte Biskuitboden? Nicht zu feinporig darf er sein und nicht zu fest. Was ist das perfekte Verhältnis zwischen Kirschsaft und Kirschen? Soll ja nicht so sein, dass man die Früchte kaum raus schmeckt. Wie sind die Sahne und der Alkohol aufeinander abzustimmen? Dass man schon beschwipst wird, wenn man die Torte nur anschaut, wäre kein gutes Zeichen. Überhaupt die Sahne, die ist nicht ganz unkompliziert: Wird sie zu kurz geschlagen, sinkt sie später unter ihrer Last zusammen, kriegt sie zu viele Umdrehungen ab, wird sie krisselig.

Bis Brenneis seine perfekte Kreation kombiniert hatte, vergingen mindestens zehn Torten. Zur Freude seiner Verwandtschaft, die sich gerne als Verkostungskaninchen opferte. Denn, wie hat man von Siegfried Brenneis bereits gelernt: „Dieses Zusammenspiel, diese Geschmackskomposition – das ist einfach wunderbar.“ Dazu passt eine weitere Aussage des Botschafters: „An einer Schwarzwälder isst man sich nie satt.“

Ach ja: Das Kirschwasser, das Brenneis verwendet, besorgt ihm die Nichte seiner Chefin, die im Schwarzwald lebt. Bei den Kirschen in seinen Torten handelt es sich um die berühmten Odenwald-Kirschen. Eine vollendete Allianz also – und womöglich die beste Garantie dafür, dass Siegfried Brenneis eines Tages nicht eine Odenwald-Torte erfinden will.