Martin Klumpp vorm Hospitalhof Foto: Sabine Schwieder

Der Prälat im Ruhestand erzählte im Hospitalhof von den Anfängen der kirchlichen Bildungsarbeit in der Stadtmitte bis zu den heutigen Angeboten.

S-Mitte - Am Anfang habe er Angst gehabt, gestand Martin Klumpp, Prälat im Ruhestand, als er im Hospitalhof von seiner ersten Zeit als Pfarrer der Stuttgarter Hospitalkirche berichtete. Das Haus, in dem er damals leben und wirken sollte, war im Gegensatz zum jetzigen Bau unwirtlich. Die Aufgabe, auf dem Boden des ehemaligen Dominikanerklosters ein Bildungshaus aufzubauen, sei nicht einfach gewesen. Doch Prälat Klumpp setzte seine ganze Persönlichkeit ein, und heute, zwei Nachfolger später, schätzt man noch immer seinen Rat. So saßen im Publikum des Vortrags über „Bildung für den ganzen Menschen – Bildungshaus und Kirche mitten in der Stadt“ sowohl Pfarrer Eberhard Schwarz von der Hospitalkirche als auch Pfarrerin Monika Renninger, die derzeitige Leiterin des Bildungszentrums.

Er habe nicht im Sinn gehabt, eine „Kirche für die eh schon Frommen“ zu gestalten, sagte Prälat Klumpp. Ende der 70er-Jahre, als er sein Amt antrat, wurde das Thema Säkularisierung viel diskutiert. Dies stellte die Kirche vor eine große Herausforderung, da sie nicht mehr die unumstrittene Kraft in der Gesellschaft war. „Die ganze Gesellschaft musste sich neu definieren, nichts war mehr selbstverständlich“, beschrieb der Referent die damalige Atmosphäre. Wissenschaften wie die Psychologie, die Philosophie, die Kulturwissenschaften, aber auch die Politikwissenschaften oder die Kunst waren vonnöten, um die Kirche als „Sinn- und Ethikvermittlerin“ zu ergänzen.

Bildung sei die den Christen angemessene Lebensform

„Wir hatten viel Stoff, dem wir uns widmen konnten“, berichtete der Referent. Zu den drängenden Fragen gehörten die nach dem sozialen Miteinander, nach der Wohnstruktur, nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau, nach der Pädagogik und Berufswelt. Die ökologische Krise und die Auseinandersetzung mit der Atomtechnologie wurden ebenso thematisiert wie die weltweiten Zusammenhänge, die erstmals vom Club of Rome zur Diskussion gestellt wurden. „Da hat es geholfen, dass das Dominikanerkloster im Spätmittelalter die gebildetsten Theologen und Philosophen hervorgebracht hat“, sagte Prälat Klumpp. Später, zur Zeit der Reformation, habe man erkannt, dass die Bildung die den Christen angemessene Lebensform sei. Sein Plädoyer für „lebenslanges Lernen“ gründet auf dem Humanisten Johannes Reuchlin, der gesagt hat, kein Bollwerk, kein Militär mache eine Stadt stärker als gebildete, kluge Menschen.

Aus diesem Geist entstand die Idee des Leitungskreises: von jeder Gemeinde kommt eine institutionell unabhängige Person. In diesem Gremium werden die Themen gesucht und ausgewählt. Die Gemeinden hatten anfangs die Befürchtung, der Hospitalhof würde ihnen „die Bildungsbutter vom Brot essen“, aber schnell war klar, dass hier keine Konkurrenz erwachsen würde. „Wir machten keine Bibelstunde, keine Mütterstunde, wir machten Veranstaltungen, die sich die Gemeinden selbst nicht leisten konnten.“ Er habe zudem den Ehrgeiz gehabt, die Stuttgarter mit interessanten Menschen bekannt zu machen – und die Reihe der Vortragenden im Hospitalhof ist dementsprechend beeindruckend.

Viele Menschen ziehen sich die Welt über die Medien rein

Neben Vorträgen und Seminaren gab es Gesprächsgruppen und Studien- oder Übungsgruppen. Aus Vorträgen zum Thema Krankenpflege entstand die Hospizbewegung. Aus einer Gruppe mit dem Lernziel „Vorurteilsfreies Verhalten gegenüber obdachlosen Menschen“ wurde später die Vesperkirche. „Heute besteht die Gruppe der benachteiligten Menschen nicht mehr nur aus denjenigen, die nicht viel Geld haben“, ging der Referent zur Gegenwart über. Es gebe vielmehr Menschen, die sich die ganze Welt über die Medien reinziehen würden. „Und sie sind, während sie das tun, immer alleine. Sie haben das Gefühl: Was mich bewegt, das interessiert niemanden. Und was ohnmächtig macht, das erzeugt Wut“. Wenn es nicht gelänge, diese Menschen in eine soziale Beziehung zu führen, dann werde zunehmen, was man heute schon beklage und befürchte: Gewalt.

Aber auch die Theologie müsse mehr und anspruchsvoller vermittelt werden: „Wir brauchen dringend die Auseinandersetzung mit dem Islam. Wir müssen gebildete Muslime anregen, anschaulich von ihrem Glauben zu erzählen“, gab der Gründungsvater seinen Nachfolgern als Hausaufgabe mit. Dabei geht es Martin Klumpp nicht allein um die Rolle der Kirche in einer multireligiösen Gesellschaft: „Die Frage ist: schaffen wir es, die Unbedingtheit des Glaubens mit der nötigen Toleranz zu verbinden?“ In diesem Zusammenhang verwahrte er sich gegen den Begriff „Flüchtlingskrise“: „Wir erleben eine Völkerwanderung. Niemand weiß, wie das gehen soll. Aber wir brauchen den Mut, ein Problem anzugehen, auch wenn wir die Lösung noch nicht wissen“, betonte er.