Großscheich Ahmad al-Tayyeb (li.) und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) diskutieren beim Kirchentag. Foto: dpa

Beim Kirchentag wird auch darüber diskutiert, wie religiöser Fundamentalismus überwunden werden kann. Die Meinungen dazu gehen auseinander.

Berlin - Gerade sprechen der ägyptische Großscheich Ahmad al-Tayyeb und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) darüber, wie Toleranz und friedliches Zusammenleben gefördert werden können, da platzt die Nachricht von einem neuerlichen Attentat auf koptische Christen in Ägypten in die Messehalle. Einen Moment lang erstarren alle. Dann erklärt das Oberhaupt der Al-Azhar-Universität in Kairo, einer der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islam: „Kein Ägypter, kein Christ, kein Muslim sympathisiert mit solchen Taten.“ Diese hätten nur ein Ziel: Ägypten zu schaden.

In seiner Grundsatzrede kurz zuvor hatte al-Tayyeb alle Terroranschläge im Namen der Religion verurteilt, „besonders den jüngsten in Manchester“, und dazu aufgerufen, gemeinsam gegen diejenigen vorzugehen, die durch ihre Taten den Eindruck erweckten, der Islam sei brutal und blutrünstig. Der Koran stelle klar, dass Muslime ihren Glauben nicht mit Gewalt verbreiten dürften und der Einsatz von Waffen allein zur Selbstverteidigung erlaubt sei, betont der 70-Jährige, der einst Anschläge von Palästinensern gegen Israel rechtfertigte. Er verstehe nicht, dass der Islam als Religion des Terrors gelte, wo doch die meisten Terroropfer Muslime seien.

Signal in muslimische Welt

Für de Maizière und den ägyptischen Geistlichen war die Begegnung am Freitag die dritte. Mit der Veranstaltung will die Leitung des Kirchentags, auf dem interreligiöse Gespräche eine lange Tradition haben, auch ein Signal in die muslimische Welt senden: dass Frieden in und zwischen den Religionen möglich ist und die religiösen Führer dafür etwas tun müssen. Es sei Aufgabe der Religionen selbst, die gemeinsame Friedensverantwortung zu formulieren, fordert de Maizière und erinnert daran, dass es auch in der Geschichte des Christentums blutige Auseinandersetzungen gab bis hin zum Dreißigjährigen Krieg knapp 100 Jahre nach Beginn der Reformation. Er lobt die Bemühungen von al-Azhar, „die Toleranz zu fördern“ und erteilt „Terrorismus, Antisemitismus und Islamophobie“ eine Absage. Angesichts der Globalisierung könnten sich die Religionen nicht mehr aus dem Weg gehen, sondern müssten lernen, miteinander zu leben. Ein Zeichen könnte etwa sein, dass überall Kirchenglocken läuten und gleichzeitig Muezzine Gewalt verurteilen, so der Minister.

Auf Verständigung an der Basis setzt Reformationsbotschafterin Margot Käßmann. „Es ist doch absurd, die geschätzt 300 Burkaträgerinnen in Deutschland zur zentralen Frage einer Leitkultur zu machen“, sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland bei einem Frauenmahl auf dem Kirchentag – und zielt damit in Richtung de Maizière, der kürzlich erneut eine Burka-Diskussion angefacht hatte. Bei Tischgesprächen – nach dem Vorbild von Martin Luther – treffen sich seit 2011 bei den Kirchentagen und auch in vielen Städten immer wieder Christinnen, Jüdinnen und Musliminnen, um über das zu sprechen, was ihre Religionen ausmacht, was sie verbindet und trennt.

Fundamentalismus in allen Religionen

Sie alle hätten mit fundamentalistischen Strömungen in den eigenen Reihen zu kämpfen, erklärte die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Feministen/-innen aller Religionen, vereinigt euch gegen Fundamentalismus“. Zur Gefahr werde die intensive Auseinandersetzung mit der Religion, wenn Menschen glaubten, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit, und ihre Vorstellungen mit Gewalt durchzusetzen versuchten – oder auch in Form von diskriminierenden Gesetzen, wie sie etwa evangelikale Gruppen in den USA anstrebten. Der Fundamentalismus nehme zu, weil es vielen schwerfalle, über Überzeugungen zu diskutieren.

Das erlebt auch die muslimische Frauenrechtlerin Rozana Isa, die die Sisters of Islam leitet. Die Gründerinnen habe vor über 30 Jahren die Frage bewegt, warum es trotz Frauenrechten im Koran keine Geschlechtergerechtigkeit im Islam gibt. Mit einer eigenen Koraninterpretation versuchen sie, Frauen gegen die „patriarchalische Bevormundung“ zu stärken. Dabei seien die sozialen Netzwerke hilfreich, sagt Isa. Doch der Druck wächst. Nach einem Studium etwa in Ägypten oder Saudi-Arabien kehrten viele mit fundamentalistischen Ideen nach Malaysia zurück und versuchten, strengere Vorschriften durchzusetzen, beispielsweise für die Bekleidung von Frauen.