Um sexuelle Vielfalt geht es bei einer Reihe von Veranstaltungen auf dem Kirchentag Foto: dpa

Um sexuelle Vielfalt geht es bei einer Reihe von Veranstaltungen auf dem Kirchentag – unter anderem im Zentrum Regenbogen in der Michaelsgemeinde in Stuttgart-Wangen.

Stuttgart - Friedrich Enchelmayer, 1908 in Stuttgart geboren, 1940 im Konzentrationslager Neuengamme gestorben – angeblich an einem Herzschlag. Sein Name und die Namen einiger anderer Männer sind auf einer Stele verzeichnet, die bis zum Ende des Kirchentags als Mahnmal auf dem Stuttgarter Karlsplatz steht. Dort erinnerte Kirchentagpräsident Andreas Barner bei einer offiziellen Gedenkfeier am Mittwochmittag an die Verfolgung und Ermordung tausender Homosexueller in der NS-Zeit. „Es ist unsere Verpflichtung, das Leiden der Verfolgten nicht dem Vergessen anheimzustellen“, sagte er vor mehreren hundert Menschen. Die Ausgrenzung von gleichgeschlechtlich Liebenden habe eine lange, leidvolle Geschichte. Dazu hätten auch die Kirchen beigetragen.

Schätzungsweise 10 000 bis 15000 Homosexuelle wurden in Konzentrationslagern eingesperrt, mehr als Hälfte starb. Mit der Befreiung am 8. Mai 1945 war das Leid derer, die die Lager überlebt hatten, aber keineswegs beendet. Denn das von den Nationalsozialisten 1935 verschärfte Strafrecht galt weiterhin, erst 1969 wurden die Paragrafen 175 und 175a abgeschafft. Die Behörden lehnten es jedoch weiter ab, die Betroffenen für das Unrecht, das sie erlitten hatten, zu entschädigen. Bis heute fehle eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Wiedergutmachung, sagte Joachim Stein, Vorstand des schwul/lesbischen Zentrums Weißenburg. Auch seien die Vorbehalte gegenüber Homosexuelle noch immer nicht ganz verschwunden. Das zeigten unter anderem die Proteste gegen das Thema sexuelle Vielfalt in den künftigen Bildungsplänen für die Schulen in Baden-Württemberg, die auch von konservativen kirchlichen Kreisen unterstützt würden.

Verfolgt wurden vor allem Männer, für Frauen galt der Strafrechtsparagraf 175 nicht. Dennoch wurden auch immer wieder Frauen, die Frauen liebten, bestraft – etwa, indem ihnen andere Vergehen wie Diebstahl, Betrug oder Prostitution angehängt wurden. Während Schwule in den Konzentrationslagern mit einem rosa Winkel gekennzeichnet wurden, erhielten Frauen teilweise einen schwarzen Winkel – das Zeichen für „Asoziale“. Susanne Enchelmayer-Kieser hat erst spät vom Schicksal ihres Großonkels Friedrich Enchelmayer erfahren – über ihn wurde nicht gesprochen. In der Familienbibel entdeckte sie seinen Namen – der war am Totensonntag 1928 durchgestrichen worden. Sie vermutet, dass er sich damals geoutet hat und deshalb verstoßen wurde. Ein Stolperstein erinnert an ihn. Die Kirchen müssten sich ihrer Mitschuld an der Verfolgung der Homosexuellen stellen, forderte die Stuttgarter Pfarrerin Monika Renninger. Sie hätten sich nicht schützend vor die Betroffenen gestellt, sondern deren Verfolgung und Ausgrenzung mit betrieben.

Um sexuelle Vielfalt geht es bei einer Reihe von Veranstaltungen auf dem Kirchentag – unter anderem im Zentrum Regenbogen in der Michaelsgemeinde in Stuttgart-Wangen. „Wir wollen nicht erduldet werden“ heißt eine Diskussionsveranstaltung am Samstag in der Schwabenlandhalle in Fellbach – auf dem Podium sitzen unter anderem Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und Oberkirchenrat Werner Baur.