Setzt auf Gespräche: Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au Foto: epd

Die Kirche soll die Menschen nicht als Kunden sehen, sagt Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au. Sie will Menschen miteinander ins Gespräch bringen, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu festigen.

Berlin -

Frau Professor Aus der Au, Sie sind die erste Kirchentagspräsidentin aus der Schweiz. Was gab den Ausschlag für diese Entscheidung?
Ich war ja nicht dabei (lacht). Eine Rolle spielte wohl, dass es ein Kirchentag 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag ist – ein Jahr mit vielen Veranstaltungen zur Reformation. Da war es spannend, dem Kirchentag eine Präsidentin zu geben, die nicht Lutheranerin und nicht Deutsche ist, die aber Theologin und mit den ganzen Diskussionen vertraut ist, allerdings eine andere Perspektive einnimmt.
Wie lösen Sie das ein?
Die Losung „Du siehst mich“ haben wir so umgesetzt, dass es noch mehr Dialoge gibt - in den Bibelarbeiten, bei den Hauptvorträgen, auf den Podien. Wir wollen deutlich machen, dass die Wahrheit nur im Gespräch zu fassen ist. Der Protestantismus war von Anfang an keine Ein-Mann-Veranstaltung. Sicher: Martin Luther hat in Wittenberg die Reformation angestoßen, aber der Boden war vorbereitet – durch die Waldenser, Jan Hus und andere Strömungen. Und seine Ideen sind aufgenommen worden an verschiedenen Orten – etwa in Zürich, Genf, Straßburg, Basel. Die Wahrheit ist mehrschichtig. Sie hat viele Stimmen, die man zusammen hören muss.
Vielstimmigkeit – das bringt zur Politik. Seit dem Kirchentag in Stuttgart 2015 hat sich die Weltlage in vielen Bereichen verschlechtert. Wie spiegelt sich das auf dem Kirchentag wider?
Was Wahrheit ist, welche Rolle die Medien haben, wie es um Europa und die Demokratie steht, wie wir damit umgehen, wenn Menschen aus Kriegsgebieten vor unseren Grenzen stehen – das sind wichtige Themen auf dem Kirchentag, der sich ja immer auch als Zeitansage versteht.
Die Kirchen engagieren sich sehr für die Flüchtlinge. Das bringt ihnen auch Kritik ein, auch aus den eigenen Reihen. Wie begegnen Sie dieser?
Wir reden nicht über Menschen, sondern mit ihnen. Aus Kirchengemeinden kommen Menschen, die sich engagieren, und Geflüchtete, um darüber zu sprechen, was Flüchtlingspolitik ist und kann und sein soll. Nach unserer christlichen Überzeugung dürfen wir uns nicht einfach abschotten. Wir können nicht ignorieren, dass sich vor unseren Haustür Tragödien abspielen. Wir wollen helfen, aber wir wollen auch Gesellschaft gestalten und diejenigen unterstützen, die mit langem Atem die Strukturen prägen und ändern, damit es auch in zwei, zehn, zwanzig Jahren einen Zusammenhalt gibt.
Sie haben auch die AFD eingeladen, die fordert, Flüchtlinge wieder zurückzuschicken. Was erwarten Sie davon?
Wir haben nicht die AfD eingeladen, auch nicht die CDU oder die SPD. Vielmehr haben wir eine AfD-Vertreterin eingeladen, die für ein besonderes Themenspektrum steht: Christen in der AfD. Wir wollen die Menschen ins Gespräch miteinander bringen. Frau Schultner diskutiert mit dem Berliner Bischof Markus Dröge und der Publizistin Liane Bednarz, für die Christsein und eine Partei wie die AfD nicht zusammengehen. Frau Schultner soll sagen, wie sie es zusammenbringt, Christin zu sein und Menschen in Lebensgefahr und unlebbare Verhältnisse zurückzuschicken.
Der frühere US-Präsident Barack Obama wird mit Kanzlerin Merkel auftreten. Kritiker sehen das als Wahlkampfhilfe für die CDU…
Mal ist der Kirchentagtag zu grün, mal zu SPD-nah – Kritik erleben wir immer. Dass Angela Merkel mit Barack Obama spricht, ist der Tatsache geschuldet, dass sie die Bundeskanzlerin ist. Das ist ein Gespräch auf Augenhöhe.
Die Säkularisierung schreitet voran, gleichzeitig spielt Religion oft eine negative Rolle. Wo sehen Sie die Aufgabe der Kirchen?
Angesichts der Gewalt, die teilweise im Namen von Religionen verübt wird, sehe ich unsere Aufgabe als Christen und Kirchen darin, das friedensstiftende Potenzial von Religionen wiederzuentdecken und zu fördern – auch im Gespräch mit Juden, Muslimen, Buddhisten und Angehörigen anderer Religionen und Glaubensgemeinschaften. Trotz Säkularisierung haben die Kirchen noch immer einen großen Einfluss und mobilisieren viele, sich zu engagieren. Sie bieten einen Ort, an dem man etwas bewegen und bewirken kann. Als Christen müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, was wir tun, um unseren Glauben zu leben – zum Nutzen aller Menschen.
Studien zeigen, dass die Kirchen nur noch Teile der Gesellschaft erreichen. Was kann der Kirchentag da beitragen?
Besucher, die nicht sehr kirchennah sind, erleben den Kirchentag oft als etwas Besonderes und sagen, so könnte ich mir Kirche vorstellen. Manchen gelingt es, etwas davon nach Hause mitzunehmen. Den Gemeinden bieten diese Rückmeldungen die Chance, sich mit ihrer Arbeit, ihren Angeboten auseinanderzusetzen und auszuloten, ob es das ist, was sie wollen – oder was sonst noch möglich ist.
Welche Botschaft soll von Wittenberg und Berlin 500 Jahre nach Beginn der Reformation ausgehen?
Was ich nicht möchte, ist, dass Kirche nur noch danach fragt, was die Menschen wünschen und was wir ihnen quasi als Kunden bieten können. Was bleiben soll, ist das, was die Reformatoren wiederentdeckt haben: das Evangelium, die Befreiung, das Versprechen: Du bist gemeint, Du bist gehalten von mir, Du brauchst keine Angst zu haben. Das zu vermitteln in eine Gesellschaft hinein, die mit vielen Konflikten und Unsicherheiten fertig werden muss, ist mir wichtig, und dabei dürfen wir auch neue Formen entwickeln. Wichtig ist mir auch die Fortsetzung der Ökumene. Das Abgrenzen war mal nötig, aber jetzt sollte es um das Gemeinsame gehen. Da lassen wir nicht los.
Eines der trennenden Themen ist das gemeinsame Abendmahl von Protestanten und Katholiken. Aus Sicht der katholischen Hierarchie ist das noch nicht möglich. Hoffen Sie auf positive Signale des jetzigen Papstes?
An der katholischen Basis sagen viele, wir wollen und wir brauchen das und sehen nicht, was uns daran hindern sollte. Als Reformierte sind wir noch entspannter: Christus ist präsent in der Gemeinde – er ist der, der einlädt. Ich glaube, es geht nicht anders. Wo, wenn nicht im Abendmahl, sollen sich Christen zusammenfinden, gemeinsam essen und trinken? Ich bin überzeugt, dass das kommen wird, noch zu unseren Lebzeiten.