Die Vinzenz-Pallotti-Kirche zeigt sich dieser Tage noch einmal von ihrer schönsten Seite. Der Herbst hat ihr ein Festtagsgewand an die Fassade gemalt. Foto: Sägesser

Die Vinzenz-Pallotti-Kirche in Stuttgart-Birkach hat keine Zukunft. Für Januar ist die Abrissglocke bestellt. Am 15. Oktober entweiht der Bischoff das Gebäude. Der Abschied fällt der Gemeinde nicht gerade leicht.

Birkach - Die Kirche brennt. In den schönsten Rottönen rankt sich der wilde Wein die Mauer hinauf, umspannt das Gemäuer wie ein Sicherheitsnetz. Oder wie das schönste Kleid, das sich ein ansonsten eher trister Sechzigerjahrebau wünschen kann. Die Blätter leuchten um die Wette, die Vinzenz-Pallotti-Kirche zeigt sich von ihrer besten Seite. Ganz so, als hätte sie sich noch einmal in Schale geworfen. Noch einmal, vor dem letzten Geläut.

Die Tage der Pallotti-Kirche sind gezählt, der Abrissbagger ist für Januar bestellt. Am 15. Oktober wird Gebhard Fürst im kleinen Birkach erwartet, um zu tun, was einem Bischof vorbehalten ist. Er entweiht die Kirche, nimmt ihr den Segen. Nach dem Gottesdienst ist sie ein weltliches Gebäude.

Sie wird dieser Tage immer sentimentaler

„Je näher dieser Termin kommt, desto mehr geht es mir ans Herz“, sagt Edith Dangel. Die 74-jährige Birkacherin sitzt zusammen mit ihrem Mann am Tisch in ihrer Wohnung, nur wenige Gehminuten vom Gotteshaus entfernt. Als hätte sich Edith Dangel mit der Kirche farblich abgestimmt, trägt sie an diesem Tag Rot. Und wie gesagt, je näher das Ende rückt, desto sentimentaler wird Edith Dangel. „Ich empfinde es so, als müsste ich alles noch einmal streicheln“, sagt sie. Bevor die Kirche nur noch eine Erinnerung ist.

Erinnerungen haben Edith Dangel und ihr Mann Gunter etliche an die Pallotti-Kirche. Als sie 1970 aus Österreich nach Birkach gezogen sind, ging es noch lebhaft zu in dem Gotteshaus an der Birkheckenstraße. Ihre drei Kinder sind dort getauft worden, teils auch gefirmt. Edith Dangel hat in der Kinderkirche mitgeholfen, ihr Mann saß lange im Kirchengemeinderat. Die Gemeinde, die immer schon als Filiale Hohenheims galt, hat pulsiert.

Das hat sich über die Jahre verändert. Nicht nur der Mangel an Priestern, sondern auch die schwindende Zahl an Gottesdienstbesuchern machten der Pallotti-Kirche letztlich den Garaus. Es ist nicht so, dass das Ende jäh kommt, nein. Dieses Ende kam schleichend, es war einfach nicht mehr abzuwenden. „Die Kirche hat die Gemeinde viel Geld gekostet“, sagt Gunter Dangel. Und um sie zu halten, hätte investiert werden müssen. Aber für wen? Darauf fand sich über viele Jahre hinweg keine rettende Antwort. Deshalb muss die Kirche nun Platz machen für Wohnungen und für einen größeren katholischen Vinzenz-Pallotti-Kindergarten.

Der Kirchenbau war ein echter Kraftakt

So ändern sich die Zeiten in gut 50 Jahren. So lang ist es her, dass das Projekt Pallotti-Kirche angestoßen worden ist. Die Bevölkerung in Birkach und Schönberg wuchs und wuchs, es brauchte endlich ein eigenes Gotteshaus. Und das war ein wahrer Kraftakt. Nicht nur für die Bauarbeiter, die in den Jahren 1965 und 1966 gegen das miese Wetter kämpften. „Es regnete im Frühling, es regnete im Sommer, und wenn es gerade nicht regnete, floß das Wasser aus unzähligen Quellen in Gräben und Gruben.“ So ist es nachzulesen in der kleinen Schrift, die zur Einweihung der Pallotti-Kirche gedruckt worden ist.

Es war aber auch ein finanzieller Kraftakt. Zwischendurch ging das Geld aus, die Arbeiten stockten. Doch der damalige Pfarrer Kutter kratzte hier und bettelte dort. Am 11. September 1966 wurde die Vinzenz-Pallotti-Kirche eingeweiht, als weltweit erste mit diesem Namen.

Als die Dangels zu der Gemeinde stießen, war die Kirche vier Jahre alt. Edith Dangel erinnert sich noch an die Zeit, als die Kirchenbänke gut besetzt waren. Bei Krippenspielen und den Jugendmetten, „da war die Kirche proppenvoll“, sagt sie. Es wurde viel gesungen und viel gelacht. Erinnerungen wie diese werden am 8. Oktober aufleben. Dann, wenn die Gemeindemitglieder sie zum Abschied vortragen. Das war eine Idee des Vorbereitungsteams, dem die Dangels angehören. „Manche können gar nicht kommen, weil es ihnen zu nahe geht“, sagt Edith Dangel. Sie versteht das, ihr ist es ja selbst schwer ums Herz. Auch wenn ihr klar ist, dass es nicht anders geht.

Es scharten sich nur noch 15 Leute um den Altar

Beim letzten Gottesdienst im Jahr 2014 scharte sich gerade mal 15 Leute um den Altar, viele schon recht gebrechlich. Wo sollte das hinführen? Deshalb waren die Dangels nicht gegen den Abriss. „Das ist aber alles vom Kopf her“, sagt Edith Dangel. Seit 2014 feiern die Birkacher den Gottesdienst in Sankt Antonius in Hohenheim.

Nachdem der Bischof seines Amtes gewaltet hat, wird der Pfarrer Maciej Pliszka aus Polen mit Umzugswagen nach Birkach kommen, um die Kirche leer zu räumen.

Durch Zufall hatte sich eine arme katholische Kirchengemeinde nahe Stettin gefunden, sie braucht dringend Kirchenmöbel. „Innerhalb von einer Woche war Pliszka da und hat sich alles angeguckt“, sagt Odilo Metzler von der katholischen Gemeinde Sankt Antonius in Hohenheim. Und der polnische Pfarrer nimmt alles: die Bänke, den Altar, den Ambo, das Kreuz, „sogar die Glasfenster“, sagt Metzler. Hinter der Orgel steht noch ein Fragezeichen. Der Rest ist eine Spende der Birkacher. Eine Spende für die Zukunft.

Die polnische Gemeinde übernimmt wohl auch den Namen

Die polnische Gemeinde, die bald auf Birkacher Kirchenbänken sitzen wird, übernimmt nämlich nicht nur die Möbel. Es steht im Raum, dass aus ihr auch namentlich eine Vinzenz-Pallotti-Gemeinde werden soll. Die Spendergemeinde ist zur Einweihung eingeladen. Metzler hat vor, nach Polen zu fahren, und mit ihm sicher der eine oder andere aus Birkach, der dieser Tage Abschied nehmen muss von seiner Kirche, die dank dieser schicksalhaften Wendung in Osteuropa weiterleben wird.

Bevor es so weit ist, stehen der Birkacher Pallotti-Kirche allerdings noch zwei große Feste ins Haus. Da dürfte es noch einmal lebhaft zugehen an einem inzwischen sehr leise gewordenen Ort. Doch bevor die Gäste kommen, muss die Kirche geputzt werden, erzählen die Dangels. Und die Orgel, die wird auch noch einmal gestimmt. Es soll so schön wie möglich werden.

Den Rest erledigt der Herbst. Er hat der Birkacher Kirche ein rotes Blättergewand an die Fassade gemalt. Ein Festtagsgewand, das die Vinzenz-Pallotti-Kirche in diesen Tagen zum letzten Mal trägt.

Termine des Abschieds

Am Sonntag, 8. Oktober, lädt die katholische Gemeinde in die Vinzenz-Pallotti-Kirche, Birkheckenstraße 80, ein. Um 17 Uhr beginnt eine Konzertlesung unter der Überschrift „Pallotti – ein katholischer Luther“. Zu Gast ist der Liedermacher und Journalist Alexander Schweda. Um 18 Uhr gibt es einen Dankgottesdienst mit Erinnerungen an die Kirche.

Von 9.55 Uhr an werden am Sonntag, 15. Oktober, die Kirchenglocken läuten – in Birkach und auch in Hohenheim. Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst mit Bischoff Gebhard Fürst, mit der Profanierung wird die Kirche entweiht. Es singt der Antoniuschor. An beiden Sonntagen ist eine Ausstellung mit Bildern aus der Geschichte der Pallotti-Kirche zu sehen.