Ein Abrissbagger zerstört am 9. Januar 2018 in Erkelenz-Immerath (Nordrhein-Westfalen) einen Turm des Immerather Doms. Das frühere Gotteshaus der katholischen Pfarrei St. Lambertus war seit 2013 entwidmet und damit kein Gotteshaus mehr. Der Ort Immerath muss dem nahenden Braunkohletagebau Garzweiler weichen. Foto: dpa

Was macht man mit Kirchen, die niemand mehr braucht? Sie werden entweiht, geschlossen, verkauft, abgerissen. Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie die Zukunft der deutschen Kirchen aussehen könnte.

Stuttgart - Immer mehr katholische Kirchengemeinden in Deutschland kooperieren oder werden zu Gesamtkirchengemeinden zusammengelegt. Der Grund: Es gibt immer weniger Priester, so dass die frei werdenden Pfarrerstellen nicht mehr besetzt werden können. Zudem ist der Unterhalt der Sakralgebäude bei sinkenden Gläubigenzahlen zu teuer. Manche Kirchen fallen auch dem Abrissbagger zum Opfer.

„Tote“ Gotteshäuser

So wurde die katholische Kirche St. Vinzenz Pallotti in Stuttgart-Birkach Anfang 2018 abgerissen. Auf dem Pallotti-Areal soll ein Wohnquartier für Familien und Studenten entstehen.

Was in Baden-Württemberg bei Katholiken und Protestanten noch die Ausnahme ist, ist in den Niederlanden seit langem die Regel. Einst war das kleine Land an der Nordsee eine Kaderschmiede der katholischen Kirche. Fast überall in der Welt traf man auf einen holländischen Missionar.

In den 1950er Jahren nahmen 90 Prozent der Katholiken am Sonntaggottesdienst teil. Nirgendwo in Europa war das Glaubensleben lebendiger, die Gemeinden aktiver, die Gotteshäuser voller als in den Niederlanden. Heute ist man hier immer noch Spitzenreiter – bei der Säkularisierung und den „toten“ Kirchen.

Nirgendwo sind mehr Kirchen geschlossen, abgerissen, verkauft oder umgewidmet worden als im Königreich der Niederlanden. Wo früher gebetet, gefeiert und getauft wurde, wird heute gegessen, gewohnt, getanzt und eingekauft. In die profanierten Kirchen sind Buchhandlungen, Moscheen, Restaurants, Karnevalsvereine, Skate Parks und Supermärkte eingezogen. Altarräume sind zu Wohnzimmern, Marienkapellen zu Küchen umfunktioniert worden.

Kirchliche Wüstenei

Nur noch fünf Prozent der katholischen Gläubigen in den Niederlanden besuchen heute noch einen Gottesdienst. Mehr als 1000 Kirchen haben in den vergangenen Jahren ihre Pforten für immer geschlossen. Weitere 1000 – zwei Drittel aller Gotteshäuser – stehen vor dem Zusperren.

Bei den Protestanten sieht es noch trostloser aus. Jedes Jahr verlieren die protestantischen Kirchen in den Niederlanden bis zu 60 000 Gläubige. Innerhalb eines halben Jahrhunderts ist aus „Herrgotts eigenem Land“ eine konfessionelle Wüstenei geworden.

Dramatische Lage im Bistum Essen

„Dort, wo Holland hingeht, folgen auch die anderen europäischen Staaten“, prophezeite der britische Journalist und Publizist Douglas Murray schon vor Jahren. Deutschland macht da keine Ausnahme. Nirgendwo in der Republik ist die Lage dramatischer als im Bistum Essen in Nordrhein-Westfalen.

In den vergangenen Jahren wurden die 259 eigenständigen Kirchengemeinden zu 43 Großpfarreien mit je 16 000 bis 40 000 Gemeindemitgliedern zusammengelegt. Mehr als 100 Gotteshäuser sind abgerissen, entweiht oder verkauft worden.

Die Gründe für das Kirchensterben sind überall in den 27 katholischen Bistümern und 20 evangelischen Landeskirchen ähnlich: demografischer Wandel, Kirchenaustritte, massiver Rückgang der Gottesdienstbesucher, Geldmangel. Die Instandhaltung und Sanierung der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Sakralbauten übersteigt die finanziellen Mittel vieler Pfarrgemeinden und Kirchensprengel.

Orte des Heiligen und des Trostes

Mancher wird jetzt sagen: „ Es sind ja nur Gebäude, und wenn die keiner mehr braucht. Also weg damit!“ Doch so einfach ist das nicht. Kirchen sind Orte des Heiligen, der Besinnung, der Stille und des Trostes. Wo sich Menschen versammeln, beten, feiern, trauern, sich freuen. In denen der Glaube gelebt und durchlitten wird und die sich wie Wegmarken durch das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft ziehen.

Wie schreibt der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“: „Ich meine, wir sollten das, was wir besitzen, bisweilen uns so anzusehen bemühen, wie es uns vorschweben würde, nachdem wir es verloren hätten, und zwar jedes, was es auch sei; denn meistens belehrt erst der Verlust über den Wert der Dinge.“