Glocken dürfen tagsüber bis zu 60 Dezibel laut schlagen. Der Grenzwert nachts liegt bei 45 Dezibel. So steht es im Immissionsschutzgesetz. Foto: Alexandra Kratz

Am Freitag hat die evangelische Gemeinde noch einmal bei der Lautstärke der Glocken nachjustiert. Nachts dürfen sie nur mit 45 Dezibel läuten.

Möhringen - In den vergangenen Tagen ist Ernst-Martin Lieb immer wieder auf der Straße und bei Veranstaltungen angesprochen worden. Viele der Menschen waren empört und taten das dem Pfarrer kund. Denn die evangelische Gemeinde hat die Glocken der Martinskirche am Oberdorfplatz leiser gestellt. Der Stundenschlag nachts ist nun kaum noch zu hören. „Vielen fehlt das Läuten“, sagt Lieb. Insbesondere für ältere Menschen sei es eine Beruhigung gewesen, alle 15 Minuten den Glockenschlag zu vernehmen, wenn sie nachts nicht schlafen konnten. „Man hat gemerkt, dass es weiter geht und konnte gewiss sein, dass es wieder Morgen wird“, sagt Lieb. Er gibt zu, dass auch ihm der Stundenschlag fehle. Denn nicht einmal im Pfarrhaus sei dieser nachts noch zu hören.

Die Gründe sind ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 1992, die Beschwerden einiger Möhringer und das Amt für Umweltschutz, das sich zum Handeln gezwungen sah. Vor zwölfeinhalb Jahren hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Nachtruhe wichtiger ist als das Läuten der Glocken. Das Paradebeispiel war damals Lautzkirchen, eine 3000-Seelen-Gemeinde im Saarland. Dort sahen sich Anwohner wegen des Glockenschlags um ihre Nachtruhe gebracht. Sie klagten – und bekamen letztlich Recht. Das Urteil machte Schule.

Nun kann die Lautstärke variiert werden

Nun also beschwerten sich einige Möhringer beim Umweltamt, dass auch die Glocken der Martinskirche zu laut seien. Das Amt schritt zur Tat. Die städtischen Mitarbeiter kamen zu dem Ergebnis, dass die Glocken nachts bis zu 65 Dezibel laut schlagen. Das sind 20 Dezibel zu viel. So steht es im Immissionsschutzgesetz. Die Gemeinde ließ ein zweites Schlagwerk einbauen. Nun kann die Lautstärke variiert werden. Das bedeutet, die Glocken schlagen tagsüber laut und nachts leise (wir berichteten).

Am Freitagmorgen hat die Gemeinde noch einmal nachjustieren lassen und selbst gemessen. Das war gar nicht so leicht. Denn viele Umgebungsgeräusche und vor allem die vorbeifahrenden Autos sind lauter als die erlaubten 45 Dezibel, die dem Glockenschlag nachts zugebilligt werden. Tagsüber sind es immerhin 60 Dezibel.

Ernst-Martin Lieb macht keinen Hehl daraus, dass er diese Grenzwerte für unsinnig hält. „45 Dezibel sind in etwa so laut wie eine normalen Unterhaltung“, sagt er. Das sei ein Witz. Doch Gesetz ist eben Gesetz. Und daran müsse man sich halten. Rund 10 000 Euro hat die Gemeinde in das neue Schlagwerk investiert. Geld, das nun an anderer Stelle fehle. Viel mehr ärgert Lieb jedoch, dass sich die Beschwerdeführer nicht zuerst bei ihm gemeldet, sondern sich direkt beim Amt beschwert haben. Das sei – um im Bild zu bleibe – kein guter Ton, sagt Lieb.

Viele Anwohner wollen das laute Geläut zurück

Um so mehr freut er sich, dass viele mit ihm einer Meinung sind und die Glocken nicht als störendes Geräusch empfinden. Das beweisen auch die zahlreichen Leserbriefe, die unsere Redaktion zu diesem Thema erreicht haben. „Wer neben eine Kirche zieht, weiß, auf was er sich einlässt. Nach kurzer Zeit haben wir uns an das Läuten so gewöhnt, dass ich das Läuten jetzt vermisse. Ich fand das alles sehr heimelig und habe es genossen. Ich möchte meine Kirchenglocken wieder haben“, schrieb beispielsweise Barbara Längle. Klaus Rich stößt in das gleiche Horn: „Es ist doch wohl mehr als eine Farce, dass unsere Glocken in der Martinskirche von Amts wegen leiser werden müssen. Es gibt doch bestimmt genügend ,schädliche Umwelteinwirkungen’, deren Behebung weitaus angebrachter wäre“, schreibt er in seinem Leserbrief und ergänzt: „Nichts gegen korantreue Muslime – aber was wäre eigentlich, wenn anstatt unserer Martinskirche dort eine Moschee stehen würde, von deren Turm der Muezzin regelmäßig und für unser Gesetz zu laut zum Gebet ruft. Das fällt dann vermutlich unter den Begriff Religionsfreiheit und unterläge nicht dem Gesetz.“