Der Turm der Martin-Luther-Kirche im Stadtteil Bodenfeld Foto: Horst Rudel

Voller Erwartung sehen die Vertreter der syrisch-orthodoxen Gemeinde St. Jakob dem neuen Jahr entgegen. Von 2015 an können die rund 300 Familien rund um den Göppinger Pfarer Melki Teber die evangelische Kirche im Göppinger Bodenfeld ihr Eigen nennen.

Göppingen - Es ist der erste Kirchenverkauf im evangelischen Kirchenbezirk Göppingen und nach dem Verkauf der Nikolauskirche 2001 in Waiblingen erst der zweite in der gesamten Württembergischen Landeskirche. Zu dem Verkauf kommt es, da die evangelische Gemeinde stark geschrumpft ist und der Unterhalt für das große Gotteshaus zu teuer geworden sind, erläutert der Göppinger Dekan Rolf Ulmer.

Der Rückgang der Gläubigen, der im evangelischen Kirchenbezirk Göppingen vor allem aus demografischen Gründen pro Jahr rund 600 bis 700 Menschen beträgt, beschert auch der Martin-Luther-Kirche immer häufiger fast leere Bänke. „An einem durchschnittlichen Sonntag haben wir gerade mal noch 20 Menschen im Gottesdienst“, beschreibt Pfarrer Ekkehard Käss die Misere in der stark alternden Gemeinde.

Das sah in den 1950er Jahren noch ganz anders aus. Damals lebten im Bodenfeld rund 3500 Protestanten, weshalb die neue Martin-Luther-Kirche bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1956 auch für rund 4000 Gläubige ausgelegt worden war. „Ein bisschen größenwahnsinnig“, nennt das Pfarrer Käss im Rückblick, auch wenn der Stadtteil nach dem Krieg durch den starken Wohnungsbedarf von den Bevölkerungszahlen her tatsächlich im Aufwind war. Heute zählt die Gemeinde jedenfalls nur noch 750 Köpfe.

Im Bodenfeld deutet sich inzwischen der Generationenwechsel an und junge Familien ziehen in die Häuser aus den 1950er und 1960er Jahren, aber davon ist in der Kirchengemeinde fast nichts zu spüren. Auch nicht bei den Konfirmanden, deren Zahl seit Jahren zwischen vier und zehn Jugendlichen schwankt. Vor knapp 20 Jahren ist die Kirche umgebaut worden, um den großen Kirchenraum, der jetzt mit einer mobilen Wand versehen ist, als Gemeindesaal nutzen zu können.

Wenn die Wohnbau Göppingen in einigen Jahren das frühere Gelände der Gärtnerei Berner überbauen wird, möchte die Martin-Luther-Gemeinde dort ihren neuen Gemeindesaal eröffnen und mit dem Kindergarten umziehen. „Eine Glocke und einen Turm werden wir dort nicht mehr haben“, räumt der Dekan ein, aber auch mit dieser Besonderheit haben sich die Gemeindemitglieder offenbar abgefunden, bestätigt auch der Vorsitzende des Kirchengemeinderates, Roland Lehr.

Weil so ein Kirchenverkauf kein alltägliches Geschäft ist und der erste Verkaufsversuch vor sieben Jahren am Widerstand der Gemeindemitglieder scheiterte, habe man diesmal alles besonders gut vorbereitet, beschreibt Ulmer den Prozess, der ihm einiges Kopfzerbrechen bereitet habe. Nach einem Gutachten sei man sich mit der syrisch-orthodoxen Gemeinde über den deutlich unter dem Marktwert liegenden Preis schnell handelseinig geworden.

Für rund zwei Jahre wollen sich die Martin-Luther- und die syrisch-orthodoxe Gemeinde die Kirche und das Gemeindezentrum noch teilen. Die Protestanten treten bis zu einem Umzug als Mieter auf. Auch der evangelische Kindergarten soll mindestens so lange in dem Gebäude bleiben. „Unsere Türen sind offen, wir waren ja selbst lange Gast“, sagt dazu Elias Cello, der Sprecher der neuen Eigentümer. Zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern und Pfarrer Teber sprach er von einem riesigen Schritt und bedankte sich für das Vertrauen der Martin-Luther-Gemeinde. Und für Dekan Ulmer steht fest, dass hier Ökumene wirklich gelebt wird.