Iggy Pop ist siebzig Jahre alt, hat jede Menge Exzesse hinter sich – und erzählt in Jim Jarmuschs „Gimme Danger“ mit Ironie vom Punk-Leben. Foto: Studiocanal

Einer der wenigen, die alles mitgemacht und alles überlebt haben, ist Iggy Pop, der mit der Band The Stooges Punk spielte, bevor das Genre erfunden war. Jim Jarmuschs Doku „Gimme Danger“ erzählt zu Iggys 70. Geburtstag von den wilden Zeiten

Stuttgart - Jeder Punkhasser kann die wichtigsten Elemente einer Geschichte des Punk aus dem Stand aufzählen: aggressives Geschrei, abgerissene Outfits, kaputtgesoffene Lebern, malträtierte Instrumente, Sicherheitsnadeln im Gesicht, Heroinnadeln im Arm, Kotzen auf offener Bühne, Schlägereien zwischen frustrierten Bands und wütendem Publikum, Fuck-the-System-Parolen, Leimschnüfflerwirrheit, Hass aufs Geordnete, verbale und mimische Obszönitätswettbewerbe, mittendrin Iggy Pop.

Ganz falsch ist diese musiksoziologische Kurzfassung des Phänomens nicht. Aber sie hat Lücken, wie Jim Jarmuschs Dokumentarfilm „Gimme Danger“ klarmacht. Der kommt am 27. April in die deutschen Kinos, ein paar Tage nach Iggy Pops 70. Geburtstag am 21. April, und darf – obwohl er als Porträt der ganzen Stooges, von Popbands also, angelegt ist – durchaus als Feier des Jubilars verstanden werden.

Ein Triebvieh als Punk-Ahn

Man muss gar nicht lange zuschauen, dann fällt einem bei „Gimme Danger“ ein Vorvater des Punk ein, an den man in diesem Zusammenhang vielleicht noch nie gedacht hat, ein schwer lungenkranker schottischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts: Robert Louis Stevenson. Der ist noch immer verdientermaßen weltberühmt für seinen Roman „Die Schatzinsel“. Darin bekommen es ehrbare, anständige, königs- und gesetzestreue britische Bürger mit halsabschneiderischem, fiesem Piratenpack zu tun. Und obwohl Stevensons Held Jim Hawkins aufseiten des Establishments steht, ist wohl jeder kindliche Leser vor allem von den wüsten Piraten fasziniert.

Hier gibt es den Trailer zu „Gimme Danger“:

Schon deshalb könnte man Stevenson die geistige Mitbefruchtung des punkigen Vorsatzes bescheinigen, die Häfen der Ordnung für immer zu verlassen. Aber dieser Iggy, den Jim Jarmuschs Kamera beim Erzählen von früher filmt, lässt viel stärker an einen anderen, bis heute noch wirkmächtigen Text von Stevenson denken, an die Erzählung „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“.

Es ist die Mär vom rechtschaffenen, regeltreuen, zurückhaltenden Akademiker und Mitmenschen, Dr. Jekyll eben, der ein Serum entwickelt, das eine Bestie aus seinem Innersten freilässt, Mr. Hyde, ein egomanisches, brutales, einzig auf sofortige Lustbefriedigung ausgerichtetes Triebvieh. Dr. Jekyll weiß nicht recht, wie er dieses Ungetüms Herr werden soll, aber Mr. Hyde spiegelt auch diese Emotion. Ihm ist der zimperliche Jekyll lästig, er will ihn für immer abtöten.

Dr. Jekyll und Mr. Pop

Iggy Pop, das ist der unberechenbar über die Bühne rasende, konvulsivisch zuckende, animalisch belfernde Wüterich der Rockmusik, der Typ, der sich mit bloßem Oberkörper in Glasscherben wälzt, der als Erster den Stage Dive wagte, als das Publikum noch gar nicht einstudiert hatte, einen von der Bühne schnalzenden Wahnsinnigen aufzufangen, der vom Dämon ergriffene Immer-wieder-Junkie, der seinem Publikum signalisiert, die aggressive Ekstase des Auftritts sei noch der kontrollierteste Teil eines Lebens, das ein einziges Auskosten des Kontrollverlusts sei.

Und doch sitzt Jarmusch ein cool verschmitzter, mit dem ausgreifenden, exotischen Vokabular eines belesenen Sprachartisten souverän umgehender Erzähler gegenüber. Das zeigt, dass James Newell Osterberg jr., der einstige Lehrersohn und Einserschüler aus Ypsilanti, Michigan, nicht von der Neuerfindung als Iggy Pop ausradiert wurde, dass auch er sich weiterentwickelt hat. „Gimme Danger“ lässt sich als Dokumentarfilmvariante des Jekyll-und-Hyde-Motivs sehen.

Satirische Zeitreise durch die USA

Vielleicht hätte Osterberg bei manchem anderen Interviewer den Iggy aus dem Käfig gelassen, hätte eine zum unbürgerlichen Furor auf der Konzertbühne passende Trotz-, Hohn- und Provokationsshow abgezogen. Aber der Indie-Film-Veteran Jim Jarmusch, Jahrgang 1953, ist mit seiner Filmografie von „Permanent Vacation“ (1980) über „Down by Law“ (1986) und „Ghost Dog“ (1999) bis hin zu „Paterson“ (2016) so sehr eigensinniger Rocker wie nur je ein Musiker. Die Gespräche hier finden auf Augenhöhe statt. Osterberg nimmt Jarmusch ernst. Aber wichtiger noch: Beide zusammen nehmen Iggy Pop und die Stooges nicht zu ernst.

Was der Punk-Veteran erzählt, unterlegt Jarmusch mit Bildern aus alten Spielfilmen, Werbungen, Nachrichtensendungen und Familienalben. Das alles wird zusätzlich verfremdet, collagiert, animiert – nicht gegen Iggy Pop, sondern mit ihm. Dies ist eine satirische Zeitreise durchs bürgerliche Amerika von einst und durch unbürgerliche Rockkneipen, sie zeigt Iggys längst vergessene Phase als Bluesmusiker in Chicago mit der gleichen Ironie wie seine Punktänze als Schamane der Glitzerpopaustreibung.

Zank und verpatzte Gigs

Das Besondere dabei: Mr. Hydes Eskapaden werden trotz des ironischen Blicks nicht zur kalkulierten Bühnenshow abgewertet. „Gimme Danger“ beginnt mit einem der Tiefpunkte der lange zermürbend erfolglosen Band The Stooges, mit einer Phase von Zank, Sinnverlust und verpatzten Gigs, die 1974 in die Auflösung mündete. Fast meint man, das Ende eines Films zu erleben, das Enthüllen eines kompletten Scheiterns. Kaum zu glauben, dass da von einer Band die Rede ist, die in allen Lexika der Musik des 20. Jahrhunderts einen umfangreichen eigenen Eintrag hat, deren Platten von vielen Kritikern als unverzichtbare Meilensteine der Rock-Entwicklung gepriesen werden. Von innen und damals sah die Karriere der Stooges ganz anders aus als von außen und heute aus betrachtet.

Immer wieder hat Iggy Pop die Band in der ein oder anderen Form neu zusammengetrieben. Als sein Bewunderer David Bowie ihm in der Zusammenarbeit neues Publikum und neue Chancen erschloss, hat er versucht, auch die Stooges mitzuziehen in die neue Ära. „Gimme Danger“ lässt ahnen, wie schwer das war. „Wir waren Kommunisten“, sagt Iggy Pop feixend, um zu erklären, dass alle in der Band gleich viel Geld bekommen hätten. Und doch spürt man, wie stark unterschiedliche Marktwerte, Tantiemenansprüche und Medienaufmerksamkeit in eine Gruppe eingegriffen haben, die auf all diese Dinge eigentlich pfeifen wollte. Was umso erstaunlicher macht, dass die Jungs es immer wieder miteinander versucht haben. Sie waren eben mehr als eine Zugewinngemeinschaft.

Destruktive Herzenssache

Es bleibt immer klar, dass diese Suche nach einem frischeren Sound und freieren Ausdruck eine unbezähmbare Besessenheit war, bei der viele Bandmitglieder dem Tod nicht so von der Schippe springen konnten wie Iggy Pop. Jarmuschs Film lässt weder den Mythos der integren Rebellion aufleben noch den neuen vom Performance-Projekt Iggy durch den Planer Osterberg entstehen. Die Aufbruchsmusik von damals wird als Herzensprojekt deutlich, das Milieu als riskant destruktiv. Und dass Iggy Pop so geistig klar erzählen kann, wird über die Filmlänge hinweg immer rätselhafter.

Nur eines scheint am Ende gewiss: Auch mit siebzig Jahren gibt es noch keine Trennung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. James Osterberg und Iggy Pop machen erst zusammen ein Leben aus – wie bei allen von uns, allerdings wird das hier ein wenig deutlicher.

Kinostart: „Gimme Danger“ kommt am 27. April auf die Leinwände.