Auch die Pädagogen bedauern die Schließung der internationalen Kindergruppe: Thilo Fleck, Victoria Oduro und Stefan Molsner (von links). Foto: Benjamin Schieler

Die Evangelische Gesellschaft schließt ihre letzten internationalen Kindergruppen im Stuttgarter Osten. Grund ist der Ausbau der Ganztagesschulen. Dadurch haben die Kinder nachmittags keine Zeit mehr.

S-Ost - Im Jahr 1980 startete die Evangelische Gesellschaft Stuttgart (Eva) die erste internationale Kindergruppe; zum Schuljahresende schließen die letzten beiden Einrichtungen an der Hackstraße 89. Grund ist der Ausbau von Ganztagsschulen im Land, der Horte nach und nach überflüssig macht.

Oben an der Wand im Ruheraum der Kindergruppe Ost sind sie zu sehen, die Porträtfotos vieler Kinder, die in den vergangenen Jahren ihre Nachmittage hier verbracht haben. Stefan Molsner startete die Dokumentation, als der Sozialpädagoge in der Gruppe zu arbeiten begann. Das ist zwölf Jahre her. Für die Zeit nach dem Sommer wird ihm die Eva eine andere Beschäftigung anbieten; doch das ist noch weit weg. Und es scheint, als wolle Molsner noch nicht so richtig über die Zeit danach nachdenken und darüber, dass keine neuen Fotos an der Wand mehr dazukommen werden.

„Die Kinder sind fast schon zu brav“

Stefan Molsner brennt für seine Aufgabe: die Arbeit mit Kindern, die nicht aus den besten Verhältnissen kommen. „An meinem ersten Arbeitstag hat meine Kollegin gleich eine Messerwunde abbekommen“, erinnert er sich. „Da dachte ich mir schon: Wo bin ich hier gelandet?“ Gelandet war er an der Hackstraße 89, keine 200 Meter vom berüchtigten Raitelsberg entfernt, der seinen schlechten Ruf nicht losbekommt – obwohl sich in den vergangenen Jahren viel gebessert habe. „Die Kinder, die wir momentan in der Gruppe haben, sind fast schon zu brav“, sagt Molsner.

Als Anlaufstelle für das Projekt der Eva war der Raitelsberg praktisch maßgeschneidert. „Das Konzept sieht eine besondere schulische und sprachliche Förderung von Kindern vor, bei denen daheim wenig oder kein Deutsch gesprochen wird“, sagt Thilo Fleck, der stellvertretende Leiter des Bereichs Dienste für junge Menschen und Ganztagesschulen bei der Eva. Zwei Fachkräfte und ein Praktikant betreuen pro Gruppe 16 Schüler und führen auch häufig Gespräche mit Eltern oder Lehrern.

„Das ist der politische Wille“

Das Ende kommt nun nicht aus dem Nichts. Bereits 2012 machte wegen des schrumpfenden Bedarfs die Gruppe an der Landhausstraße dicht, nun trifft es nach einem Vorstandsbeschluss der Eva auch die beiden verbliebenen Gruppen Ost und Solar an der Hackstraße. Die Betreuung verlagert sich nicht nur im Stuttgarter Osten raus aus den Horten und rein in die Ganztagesschulen. „Das ist der politische Wille“, sagt Thilo Fleck, der sich eine Renaissance der Horte in Zukunft zwar vorstellen kann, momentan den Schritt aber als logisch bezeichnet. „Der Patient hängt am Tropf. Es hat sich die Frage gestellt, wie lange man ihn noch künstlich am Leben erhalten will“, sagt er.

Bedauern über den Schluss äußern nicht nur Eltern, deren Bemühen um eine Umkehr der Eva-Pläne aussichtslos erscheinen, sondern auch die Pädagogen. Zwar drückt sich Stefan Molsner diplomatisch aus, wenn er sagt, die Ganztagsschule erfülle andere Funktionen, und man müsse ihr Zeit geben, sich zu entwickeln. Eine derart individuelle und flexible Betreuung wie in den internationalen Kindergruppen sei im Massenbetrieb der Schule aber kaum möglich. „Im kleinen Team und in der kleinen Gruppe ist der Austausch leicht“, sagt Victoria Oduro, die 2005 als Praktikantin begann und Gefallen fand an der Arbeit. Nach ihrer Ausbildung kehrte sie zurück.

Auch Victoria Oduro wird bei der Eva eine andere Position angeboten bekommen. Alle vier bisher in den Gruppen tätigen sozialen Fachkräfte besitzen unbefristete Arbeitsverträge. Was aus den Räumen an der Hackstraße geschieht, ist unklar. Man prüfe andere Nutzungsmöglichkeiten, sagt Thilo Fleck. In dem Gebäude sind unter anderem die Mobile Jugendarbeit und der Verein Wand 5 beheimatet, der Organisator des Stuttgarter Filmwinters.