Bei Fieber ist die Sache klar: Das Kind gehört ins Bett und nicht in die Kita. Foto: dpa

Bevor ein Kind wieder in die Kita darf, wird eine Gesundschreibung vom Arzt verlangt: Diese Praxis nimmt in Stuttgart zu. In den Kinderarztpraxen macht sich das schon bemerkbar. Ein Grund scheint zu sein, dass Eltern ihre Kinder krank in die Einrichtung gebracht haben.

Stuttgart - Dass er mit dem kranken Kind zum Arzt geht, ist für einen Stuttgarter Vater keine Frage. „Doch ich soll mich nun auch noch ins volle Sprechzimmer setzen, wenn meine Tochter gesund ist“, erregt er sich. In seiner Kita, einer katholischen Einrichtung im Stuttgarter Süden, werden seit diesem Kindergartenjahr bei bestimmten Krankheiten Gesundschreibungen verlangt. Dazu zählt zum Beispiel die Bindehautentzündung. „Ich halte das für unnötige Bürokratie“, erregt sich der Stuttgarter. Schließlich sehe man bei einer Bindehautentzündung, wann die Infektion wieder geheilt sei. Wenn er mit dem gesunden Kind zum Kinderarzt müsse, gehe bei ihm ein halber, wenn nicht gar ein ganzer Arbeitstag drauf.

Auch andere Stuttgarter Einrichtungen bestehen auf Gesundschreibungen. Im Fall einer Kita aus dem Norden haben die Eltern eine Liste mit zwölf Erkrankungen bekommen, bei denen sie ein Attest mitbringen müssen, damit das Kind wieder kommen darf – darunter Scharlach, Influenza B, Durchfallerkrankungen durch Salmonellen, Noro- oder Rotaviren und Kopfläuse ab dem ersten Befall.

Attest erst nach wiederholtem Läusebefall vorgeschrieben

„Läuse wollen wir bei uns in der Praxis beim ersten Mal nicht sehen“, sagt der Obmann der Stuttgarter Kinderärzte, Thomas Jansen. Das könnten die Eltern alleine regeln. Sollte es zum wiederholten Befall kommen, „dann sind wir da“. So sei es auch mit dem Gesundheitsamt besprochen. Vorgeschrieben ist demnach ein Attest bei wiederholtem Befall. Jansen hat selbst schon erlebt, dass Kitas das anders handhaben. Generell würden Eltern in den Kinderarztpraxen inzwischen mehr nach Gesundschreibungen fragen als früher. „Das hat zugenommen“, sagt der Obmann. Einen Grund dafür sieht er darin, dass mehr unter Dreijährige in den Einrichtungen sind – und diese deshalb mehr von Krankheitswellen betroffen sind. Zum Teil sieht er Aufklärungsbedarf bei den Einrichtungen.

Jansen unterscheidet zwischen Gesundschreibungen, die vorgeschrieben sind – und eben nicht. So gibt es meldepflichtige Infektionskrankheiten, bei denen die Atteste laut Infektionsgesetz verlangt werden müssen: bei Borkenflechte und Krätze ist das der Fall, aber auch bei sehr ungewöhnlichen Erkrankungen wie Cholera, Diphtherie und Pest (siehe Infokasten). Das Landesgesundheitsamt hat basierend auf Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts einen Hygieneleitfaden Kintertagesbetreuung zusammengestellt, an dem sich das Jugendamt orientiert – eine ganz ähnliche Liste existiert für die katholischen Einrichtungen. Die Bindehautenzündung steht da jeweils nicht drauf.

Kindertagesstätten können Atteste ihrem Hausrecht entsprechend verlangen

Die katholische Kita aus dem Süden müsse für sich entschieden haben, auf dem Attest zu bestehen, meint Ute Hienerwadel, die für das Qualitätsmanagement der katholischen Kitas zuständig ist. Von ihnen käme das nicht. In den Kitas des Jugendamts wird bei Bindehautentzündungen nichts verlangt.

Aus formalen Gründen die Eltern zum Arzt zu schicken, das mache man nicht, sagt der stellvertretende Jugendamtsleiter Heinrich Korn, der für die städtischen Kitas zuständig ist. „Wir machen den Eltern nicht auch noch zusätzlichen Stress“, sagt er.

Die Einrichtungen, die es tun, handeln aber laut städtischem Gesundheitsamt korrekt: Kindertagesstätten sei es „vorbehalten, nach ‚Hausrecht‘ ein Attest zu verlangen, wenn sie es für erforderlich halten“, erklärt Cornelia Fischer, die dortige Sachgebietsleiterin Kinder- und Jugendgesundheit. Heinrich Korn kann sich vorstellen, warum Einrichtungen heute häufiger von diesem Hausrecht Gebrauch machen: „Manche Eltern geben die Kinder zu früh in die Einrichtung“, berichtet er. Er kann sich das nur mit dem hohen Druck im Arbeitsleben erklären – und appelliert an die Eltern, ihr Kind erst zu schicken, wenn es wieder gesund ist. Das sei aber „kein Riesenproblem“, stellt er klar.

Kinderarzt sieht vor allem ein Kommunikationsproblem

In der erwähnten Kita aus dem Norden hat man sich sich laut einer Erzieherin, die anonym bleiben will, bewusst für die Attestpflicht entschieden, um aus dem Teufelskreis herauszukommen, dass kranke Kinder nicht nur die anderen Kinder, sondern auch die Erzieherinnen anstecken. Einmal sei die Hälfte der Belegschaft ausgefallen, berichtet die Erzieherin, man habe Gruppen schließen müssen. „Früher haben Eltern Krankheiten ernster genommen“, ist ihr Eindruck. Sie berichtet von einem „enormen Druck“, unter dem Eltern stünden, die zehn Krankheitstage im Jahr reichten nicht aus. Bei Familien, die dem klassischen Modell folgen, komme es nicht vor, dass kranke Kinder in die Kita gebracht würden, bei Doppelverdienern schon. Besonders hoch sei der Druck bei erfolgreichen Selbstständigen.

Der Kinderarzt Jansen hat seine eigene Praxis, was die Gesundschreibungen angeht: Wenn diese nicht vorgeschrieben ist, stellt er auch keine aus. Sollte ein Kindergarten dennoch auf dem Attest bestehen, ruft er an, dann sei das schnell erledigt. „Das ist meistens ein Kommunikationsproblem“, ist seine Erfahrung. Im Fall von Schulkindern hat Jansen es auch schon erlebt, dass Lehrer Atteste sehen wollten, obwohl laut Schulbesuchsverordnung bis zum zehnten Krankheitstag ein Entschuldigungsschreiben der Eltern ausreicht. Da hat er auch schon zum Telefonhörer gegriffen – und das Problem war ausgeräumt.