Rund 20 Kinder aus Weißrussland erholen sich jedes Jahr für ein paar Wochen bei den Naturfreunden in Stuttgart Ost. Sie sind in unmittelbarer Nähe des 1986 explodierten Atomkraftwerks in Tschernobyl aufgewachsen und gesundheitlich angeschlagen. Foto: Sebastian Ostendorf

Jedes Jahr empfangen die Naturfreunde Kinder aus dem weißrussischen Grenzgebiet zu Tschernobyl. Die Naturfreunde finanzieren ihnen die Unterkünfte in Sechselberg, Aus-flüge in die Region und Verpflegung.

S-Ost - Oleg, 13, aus dem weißrussischen Ort Buda-Koschelewo spielt leidenschaftlich gern Fußball und Tischtennis. Dennoch kann er trotz seiner Jugend immer nur für kurze Zeit trainieren. „Ich habe von Geburt an einen Herzklappenfehler“, sagt der Schüler. Bevor er 16 Jahre alt ist, darf er nicht operiert werden.

Zusammenarbeit seit 21 Jahren

Oleg ist eines von 20 Kindern aus der weißrussischen Region Gomel. Das Gebiet liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum ukrainischen Tschernobyl. Die landwirtschaftlichen Flächen und das Trinkwasser dort sind stark durch den Reaktorunfall im Jahr 1986 mit Strahlung belastet. Der weißrussische Verein „Kinder von Tschernobyl“ unterhält eine Kooperation mit den Naturfreunden aus Backnang und Stuttgart Ost. Mit deren Hilfe verbringen die Kinder im August drei Wochen in Stuttgart. Dabei machen sie auch einen Abstecher zum Naturfreundehaus Fuchsrain. „Der Aufenthalt dient als eine Art Entgiftung für die Kinder. Er verbessert ihre Gesundheit zumindest für ein knappes Jahr“, erklärt die begleitende Ärztin Tatsiana Horbach. Viele leiden an angeborenen Herzerkrankungen oder Asthma. Die Naturfreunde finanzieren ihnen die Unterkünfte in Sechselberg, Ausflüge in die Region und Verpflegung. „Seit 21 Jahren besteht nun unsere Zusammenarbeit“, sagt Helmut Welsch von den Naturfreunden.

„Die Kinder erleben in Stuttgart so viel, was es in Weißrussland nicht gibt“, sagt der Lehrer Ryhor Kavaliou. Weißrussland ist topfeben und durch Wälder und Sümpfe geprägt. Eine Landschaft wie diese um Stuttgart kennen sie nicht. „Aus medizinischen Gründen machen wir zwar Wanderungen, aber keine ausgedehnten oder mit starker Steigung“, sagt Kavaliou. In den vergangenen drei Wochen besuchte die Gruppe den Schwabenpark, die Experimenta und die Wilhelma. Irina, 12, ist besonders begeistert von den Achterbahnen im Schwabenpark. Die drei Wochen Aufenthalt waren ihr aber zu kurz. „Ich würde gerne länger in Stuttgart bleiben und mir mehr von der Stadt ansehen“, sagt sie.

Die Situation hat sich leicht gebessert

„Mittlerweile ist die dritte Generation nach dem Unfall durch Radioaktivität belastet“, sagt der betreuende Lehrer Siarhei Kavaliou. Da in Weißrussland die Menschen durchschnittlich mit 17 Jahren heiraten, ist der Abstand zwischen den Generationen kürzer. Die Kinder haben von Geburt an Nierenschwächen, Schilddrüsenerkrankungen oder Gebärmutterkrebs. Die Region Gomel ist ländlich geprägt. Die Löhne sind niedrig. Dennoch hat sich die Situation der Bevölkerung in den vergangenen 15 Jahren leicht gebessert. „In den ersten Jahren hatten manche Kinder noch nicht mal Schuhe. Heute besitzen einige sogar ein Handy“, sagt Welsch. Dennoch benötigen auch dieses Jahr einige Kindern Kleidung und Schuhe.

Seit 1990 gibt es keine Hilfen mehr aus der ehemaligen Sowjetunion. „Über den Unfall und seine Folgen wird in Weißrussland offiziell nicht gesprochen. Aber das Problem bleibt dennoch“, sagt Ryhor Kavaliou vom weißrussischen Verein. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren Hilfen aus den Westen möglich. Mitte der Neunziger wurden die Naturfreunde auf den weißrussischen Verein aufmerksam. Seitdem unterstützen sie die Kooperation mit Spenden. Diese komme meist von der Backnanger Kreiszeitung, der Stadt Backnang und privaten Geschäftsleuten.