Schluss mit lustig: Sigmar Gabriel erläutert Schritte, die Recep Tayyip Erdogans Türkei wirtschaftlich hart treffen sollen. Foto: Getty, dpa

Außenminister Sigmar Gabriel warnt alle Deutschen vor willkürlichen Festnahmen in der Türkei und fordert deutsche Investoren auf, die Türkei vorerst zu meiden. Keiner sei dort mehr sicher. Kein Zweifel: die Zeit des Leisetretens ist vorbei.

Berlin - Die Bundesregierung legt der türkischen Regierung die Daumenschrauben an. Über Monate hatte sich Berlin in der Kunst des Leisetretens geübt, selbst dann, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der Regierung Nazimethoden vorwarf. Der Tropfen, der nun das Fass zum Überlaufen brachte, war die Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner Anfang Juli in Istanbul. Das war des Schlechten zu viel, zumal in Wahlkampfzeiten, in denen sich weder Union noch SPD den Vorwurf erlauben können, vor Erdogan zu kuschen. Der Eindruck soll vermieden werden, als habe dieser die Bundesregierung allein schon deshalb in der Hand, weil der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei der Kanzlerin im Wahljahr eine Neuauflage der Massenflucht nach Deutschland unter allen Umständen erspare.

Und so griff Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) an diesem denkwürdigen Donnerstagmorgen, der die Beziehungen Deutschlands zur Türkei auf Jahre prägen wird, nicht mehr nach rundgeschliffenen Textbausteinen der Diplomatie, sondern wählte, seinen Worten zufolge telefonisch eng abgestimmt mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), eine harte, unmissverständliche Sprache.Man müsse die Entwicklung in der Türkei „beim Namen nennen“, so Gabriel, der extra seinen Familienurlaub an der Nordsee für diesen Klartextauftritt im Auswärtigen Amt unterbrochen hatte. Wer Hunderttausende Beamte, Soldaten und Richter entlasse, Zehntausende von Menschen, darunter Abgeordnete, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, ins Gefängnis stecke, Hunderte Presseorgane schließe und Dutzenden deutschen Unternehmen pauschal Hilfe für Terroristen unterstelle, „der will offenbar das Rad der Geschichte zurückdrehen und die erst in den letzten Jahren so erfolgreich aufgebauten Fundamente von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Türkei wieder abtragen“. Gabriel nennt das, was Erdogan anstrebe, zwar nicht Diktatur, aber was Gabriel vorträgt, ist die präzise Definition dessen, was gemeinhin unter Diktatur verstanden wird. Und so wird es auch in Ankara ankommen.

„An Haaren herbeigezogen“

Peter Steudtner, so der Außenminister, sei nur einer von 22 deutschen Staatsangehörigen, die aus politischen Gründen seit dem gescheiterten Militärputschversuch vor einem Jahr verhaftet worden seien, mit „an den Haaren herbeigezogenen“ Begründungen. Noch immer sitzen neun Deutsche in türkischer Untersuchungshaft. In all diesen Fällen müsse das Auswärtige Amt mühsam „um den uns völkerrechtlich zustehenden Anspruch auf konsularischen Zugang kämpfen“. Mit Rechtsstaatlichkeit habe das nichts mehr zu tun, die Türkei verlasse „den Boden europäischer Werte“ und missachte damit zugleich den Wertekanon des Nato-Bündnisses.

„Wir müssen deshalb zu einer Neuausrichtung unserer Türkei-Politik kommen“, sagte Gabriel: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“ Man habe sich lange zurückgehalten, habe immer wieder den Dialog gesucht, auf Provokation nicht mit Konfrontation geantwortet, auch deshalb weil „wir über drei Millionen Menschen mit Wurzeln in der Türkei in unserem Land haben“.

Diese Menschen wolle man nicht verlieren, weshalb die Bundesregierung versucht habe, große Aufregung immer wieder zu dämpfen. Aber die Zeit der Schonung soll nun vorbei sein, Druck aus Ankara erzeugt erstmals Gegendruck aus Berlin.

Der Schlag soll schmerzhaft sein. „Wenn das AA eine Reisewarnung ausspricht, bricht der Tourismusmarkt in der Türkei ein“, war in hochrangigen Regierungskreisen am Tag vor Gabriels Auftritt zu hören. Nun sprach das Auswärtige Amt formal zwar keine Reisewarnung aus, was Touristen unter anderem das Recht eröffnet hätte, eine Türkeireise zu stornieren. Stattdessen wurden die Reisehinweise deutlich verschärft, rein formal ist das eine niedrigere Eskalationsstufe. Aber Gabriels Worte waren Warnung genug: Was Steudtner und anderen geschehen sei, stehe „für ein Unrecht, das jeden deutschen Staatsbürger in der Türkei treffen kann“, so der Außenminister. „Wir können daher gar nicht anders, als unsere Reise und Sicherheitshinweise für die Türkei anzupassen und die Deutschen wissen zu lassen, was ihnen geschehen kann, wenn sie in die Türkei reisen“, im Zweifel, so Gabriel, könne es jeden treffen.

Warnung vor Investitionen

Die Bundesregierung will es aber dabei nicht belassen. Sie warnt darüber hinaus deutsche Unternehmen dringend davor, weiter in der Türkei zu investieren und will die weitere Vergabe von Hermes-Bürgschaften zur staatlichen Absicherung von Auslandsinvestitionen in der Türkei prüfen. Man könne „niemandem zu Investitionen in einem Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar völlig unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, so Gabriel.

In den vergangenen Tagen war bekannt geworden, dass wohl auch Konzerne wie Daimler und BASF von der türkischen Regierung der Terrorunterstützung bezichtigt wurden. Er sehe deshalb „nicht, wie wir als Bundesregierung weiter deutsche Unternehmensinvestitionen in der Türkei garantieren können, wenn, wie geschehen, willkürliche Enteignungen aus politischen Motiven nicht nur drohen, sondern schon erfolgt sind“, sagte der Außenminister. Das gesamte Instrumentarium staatlicher Wirtschaftshilfen müsse auf den Prüfstand, sagte Gabriel. Und auch auf europäischer Ebene dürfe das rigorose türkische Vorgehen nicht folgenlos bleiben. Die sogenannten Vorbeitrittshilfen, mit denen der Türkei eigentlich die Annäherung an die EU versüßt werden soll, stellt die Bundesregierung laut Gabriel ebenso infrage wie die Verhandlungen über eine Ausdehnung der Zollunion.

Gabriel diktierte zugleich die Bedingung für die Rücknahme der Maßnahmen: „Wir fordern die Freilassung von Peter Steudtner, Deniz Yücel, Mesale Tolu, ungehinderten konsularischen Zugang und zügige, faire Verfahren für sie und die anderen Deutschen, denen politische Straftaten vorgeworfen werden.“