Kaufsüchtige können nicht kontrollieren, wie viel sie einkaufen Foto: dpa

Socken, Hosen, Blusen, Pullover - das ganze Schlafzimmer ist voll mit den Sachen. Und doch kaufen Kaufsüchtige immer mehr. Durch das zwanghafte Kaufen von allen möglichen Gegenständen fühlen sich Kaufsüchtige kurzzeitig besser, sagt Psychologin Astrid Müller.

Frau Müller, sind mehr Frauen als Männer kaufsüchtig?
Die Gruppe der Kaufsüchtigen ist sehr heterogen. Von der jungen Frau über den Arbeiter bis hin zur alten Dame sind alle vertreten. Und gerade bei jüngeren Betroffenen lässt sich feststellen, dass kein Unterschied zwischen Frauen und Männern besteht. Rund sieben Prozent der Menschen in Deutschland zeigen Symptome des zwanghaften Einkaufens. Und wenn man Kaufsüchtige auf der Straße trifft, würde man sie nicht erkennen. Sie sind gebildet, kleiden sich gut, drücken sich eloquent aus. Als das verbindet man nicht mit einem Menschen, der zwanghaft einkauft.
Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind, kaufsüchtig zu werden?
Viele Patienten leiden neben der Kaufsucht noch an anderen Erkrankungen. Fast zwei Drittel haben eine Depression, ihr Selbstwertgefühl ist gering, und sie können ihre Impulse nur sehr schwer kontrollieren. Hinzu kommen oftmals auch Angststörungen, Essstörungen oder Alkoholmissbrauch. Viele häufen die gekauften, ungenutzten Waren auch an, horten sie quasi, was ein ernsthaftes Folgeproblem darstellt.
Ist Kaufsucht eine Suchterkrankung ähnlich wie Alkoholsucht?
Ich würde Kaufsucht nicht mit einer stoffgebundenen Sucht wie der Alkoholabhängigkeit vergleichen. Eher mit Glücksspielsucht. In der Wissenschaft gibt es einen Streit darüber, wo Kaufsucht eingeordnet werden sollte: Ist sie eine Verhaltenssucht oder zählt sie „nur“ zu den Impulskontrollstörungen wie Kleptomanie, also zwanghaftes Stehlen.
Wird die Krankheit ernst genug genommen, wenn Shopping als Hobby gilt?
Einkaufen ist Teil der Freizeitbeschäftigung vieler Menschen, gerade auch Jugendlicher. Und die Werbung verführt uns dazu, immer und überall einzukaufen. Gerade im Internet kaufen viele Kaufsüchtige gerne ein, weil es anonym ist und man nicht mit Geld bezahlen muss, sondern einfach auf den Bezahlbutton klickt.
Diese Art des Einkaufens ist auch für Jugendliche gefährlich, weil sie den Bezug zwischen Ware und Geld verlieren. Ich plädiere daher stark dafür, Schüler mehr über Umgang mit Geld aufzuklären.
Wo ist die Grenze zwischen gerne einkaufen und Kaufsucht?
Jeder kauft mal eine Bluse, die er nie anzieht oder wovon er schon zwei ähnliche Modelle im Schrank hängen hat. Kaufsüchtige aber kaufen innerhalb von einer Woche drei neue Handys oder Hunderte Packungen von Kaffee. Tüten- und kistenweise werden die Sachen gekauft – egal ob Kleidung, Elektronikgeräte oder Lebensmittel. Benutzt werden die Sachen dann entweder gar nicht oder maximal einmal.
Was passiert mit den gekauften Sachen?
Manch Betroffener mietet extra eine Garage an, um dort alle Sachen zu lagern. Andere stopfen das Schlafzimmer so voll, dass kein Platz mehr ist. Wieder andere verschenken die Sachen weiter. Denn es geht ja um den Kaufvorgang und nicht darum, Sachen zu besitzen. Außerdem wollen die Betroffenen die gekauften Hosen oder Fernseher verstecken, weil Freunde, Partner oder Kinder nichts davon mitbekommen sollen. Wer schon 50 000 Euro Schulden gemacht hat und dann immer weiter einkauft, erntet von seinem Umfeld wenig Zustimmung.
Leiden sie unter Entzugserscheinungen?
Es ist schwer zu sagen, ob die schlechte Stimmung und die leichte Reizbarkeit der Betroffenen daher kommt, dass sie nicht einkaufen können, oder von ihren anderen psychischen Erkrankungen herrühren.
Warum müssen die Süchtigen immer mehr kaufen?
Das Kaufen ist ein Ventil. Wenn sich die Betroffenen zum Beispiel nicht gut fühlen oder Stress mit dem Chef hatten, dann kaufen sie ein und haben dabei ein gutes Gefühl. Alle Sorgen sind, zumindest für eine kurze Zeit, vergessen. Es ist wie ein Rausch, ein Kick. Um erneut dieses gute Gefühl zu bekommen, müssen sie wieder einkaufen. Und so kann es auch passieren, dass sich Betroffene nach einem Einkauf schlecht fühlen, sich schämen und dieses Gefühl mit einem neuen Einkauf kompensieren. Es ist ein Teufelskreis.
Wo und wie kaufen die Betroffenen ein?
Überall. Es gibt Betroffene für die es dazugehört, in der Anonymität eines Kaufhauses einzukaufen, andere bevorzugen das Internet und manche verbringen den Tag vor dem Fernseher, schauen Verkaufskanäle und bestellen dort die Ware. Andere kaufen nur in Spezialläden ein, wo sie die Verkäuferinnen gut kennen, die Atmosphäre mögen und sich wohlfühlen.
Wie werden Kaufsüchtige behandelt?
Wir behandeln die Patienten mit einer Gruppentherapie, ambulant und einmal wöchentlich. Da kann man auf bewährte verhaltenstherapeutische Methoden zurückgreifen und muss das Rad nicht neu erfinden. Zusätzlich ist es aber wichtig, auch über das unangemessene Geldausgeben, Schuldenmachen, Lügen und Verheimlichen zu sprechen. In der Therapie lernen die Betroffenen, ihre Impulse zu kontrollieren. Sie sollen andere Ventile finden, um ihren Stress abzubauen oder sich gut zu fühlen. Das nur leichter gesagt, als getan, wenn man eine ältere Dame vor sich sitzen hat, die kaufsüchtig ist, alleine lebt, ein Hüftleiden hat und alle ihre Freunde bereits verstorben sind. Die Hinweise, spazieren zu gehen oder anstelle zu kaufen ein Buch zu lesen, helfen da nicht weiter.
Kann man geheilt werden?
Heilung ist ein großes Wort. Wir versuchen, dass unsere Patienten ihren Impuls immer wieder und immer mehr zu kaufen, kontrollieren können. Da ist für viele schon ein großer Schritt.