Die Aufklärung des umstrittenen EnBW-Deals geht weiter. Foto: dpa

Kaufpreis zu hoch oder nicht? Ex-LBBW-Analyst, nun in den Diensten von Grün-Rot, in Erklärungsnot.

Stuttgart - Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Lesen des Handelsregisters im Normalfall von überschaubarer Unterhaltsamkeit ist. Regelmäßig wird dort in kleinster Schriftgröße aufgelistet, wenn Geschäftsanteile in Firmen neu verteilt werden, sich Adressen verändern oder Geschäftsführer wechseln. So wie dieser Tage bei der Neckarpri Beteiligungsverwaltungsgesellschaft. Sie verwaltet sozusagen für die grün-rote Landesregierung die EnBW-Anteile, die der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) bekanntlich im Dezember 2010 in einer Geheimaktion dem französischen Energiekonzern EdF abgekauft hatte. Und siehe da: Neckarpri mit Sitz im Ministerium von Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) hat jetzt einen neuen Geschäftsführer namens Bernhard Jeggle.

Was auf den ersten Blick eine normale Personalie zu sein scheint, ist auf den zweiten Blick durchaus prekär. Recherchen unserer Zeitung haben ergeben, dass Jeggle bis vor wenigen Monaten bei der Landesbank Baden-Württemberg als Analyst arbeitete und zu Zeiten der Mappus-Regierung maßgeblich daran beteiligt war, den Wert der EnBW-Aktien zu untersuchen. Das Ergebnis: Der Wert pro Aktie wurde gleich mehrfach zwischen 38 und 42 Euro taxiert. So hatte es jüngst auch Heinz Seiffert, Chef des Zweckverbands Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), vor dem EnBW-Untersuchungsausschuss bestätigt. Man habe, so betonte Seiffert namens der OEW als zweitem EnBW-Hauptaktionär, in den vergangenen Jahren wiederholt bei der LBBW den Wert der EnBW-Aktien analysieren lassen. Dass Mappus den Franzosen am 6. Dezember 2010 die EnBW-Aktie für 40 Euro plus 1,50 Euro Dividende abkaufte, habe sich also „in dem Rahmen bewegt, den man durch die LBBW-Analysen für realistisch“ hielt, betonte Seiffert mehrmals. Im Klartext: Da könne Grün-Rot noch so sehr Mappus vorwerfen, mit knapp fünf Milliarden Euro einen zu hohen Preis für den Wiedereinstieg des Landes bei der EnBW bezahlt zu haben, bei der OEW sehe man das anders und verlasse sich auf die Experten der Landesbank.

Mappus habe zu viel an die Franzosen bezahlt, Baden-Württemberg wolle Geld zurück

Kein Wunder, dass die Personalie Jeggle hinter den Kulissen von Grün-Rot nun für heftige Diskussionen sorgt. Denn der Neckarpri-Chef könnte in Gewissensnöte kommen. Bekanntlich hat Grün-Rot gegen die EdF vor der Internationalen Handelskammer in Paris eine Schiedsgerichtsklage eingereicht. Das Argument: Mappus habe zu viel an die Franzosen bezahlt, Baden-Württemberg wolle Geld zurück. Die Rede ist von bis zu zwei Milliarden Euro. Die EdF hat solche Forderungen bereits vehement zurückgewiesen. Sollte es zu einer Verhandlung kommen, steht Jeggle also vor einem Dilemma: Damals bewertete er als erfahrener Analyst den Aktienwert mit 38 bis 42 Euro. Nun aber müsste Jeggle für das Land vor Gericht sagen, dass der Kaufpreis zu hoch war – obwohl er sich im Rahmen seiner eigenen Analyse bewegte. „Da droht ein klassischer Zielkonflikt“, raunen erfahrene Beamte im Ministerium.

Minister Schmid glaubt das nicht. „Herr Jeggle hat in seiner Tätigkeit als Analyst der LBBW den Kurs der EnBW-Aktie am 1. Dezember 2010, also fünf Tage vor dem Kauf der EnBW-Anteile durch das Land, auf 37 Euro herabgesetzt“, sagt ein Sprecher des Ministers auf Anfrage unserer Zeitung. Damit sei klargewesen, „dass er im Gegensatz zu seinen vorherigen Analysen einen Trend nach unten“ gesehen habe. Warum der Wert plötzlich nach unten korrigiert wurde und ob Ministerpräsident Mappus davon unterrichtet wurde – immerhin ist die LBBW die landeseigene Bank –, ist unklar. Schmids Sprecher jedenfalls betont, Grün-Rot sehe „keinerlei Probleme“, dass Jeggle nun „im Dienst der Neckarpri“ stehe. Seine Expertise sei „für das Land von großem Wert“.

Was Mappus vor den Journalisten sagen sollte

Die Debatte um die Entstehung des Kaufpreises erhält damit neue Nahrung, schon am 22. Juni tagt der Untersuchungsausschuss erneut. Dirk Notheis, Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley und damals die Schaltstelle für Mappus in dem Deal, hatte stets betont, das Land habe ein gutes Geschäft gemacht. Das geht auch aus einer vertraulichen E-Mail hervor, die der Untersuchungsausschuss jetzt erhalten hat und die unserer Zeitung vorliegt. Notheis schrieb sie am 22. November 2010 – also lange vor dem Vertragsabschluss – auf einem Flug nach New York an Mappus und entwarf darin für den Ministerpräsidenten ein Szenario, wie er den Wiedereinstieg des Landes vor der Presse erklären solle. Das Geschäft werde dem Land einen jährlichen Nettogewinn von 40 Millionen Euro bringen, schrieb Notheis. „Sie werden mir recht geben, den Deal hätte auch eine schwäbische Hausfrau gemacht, wenn sie es denn könnte“, sollte Mappus vor den Journalisten sagen.

Mehr noch: In der Mail gab Notheis seinem Freund Mappus klare Instruktionen, wen der im Vorfeld von dem Geheimgeschäft informieren müsse und wie „das Timing am D-Day“, dem Tag der Bekanntgabe des Coups, auszusehen habe. Mappus müsse auf jeden Fall Erwin Teufel vorab informieren, auch den früheren EnBW-Chef Gerhard Goll, nicht zuletzt den Koalitionspartner FDP. „Die müssen an Bord sein, ohne Wenn und Aber“, schrieb Notheis. Der Aktienkauf, so mutmaßte der erfahrene Banker hoch über den Wolken, werde „sicher nicht ganz einfach für Ordoliberale“ sein. Aber es sei ja zu überlegen, ob man dem liberalen Wirtschaftsminister Ernst Pfister – quasi als Koppelgeschäft – „gegebenenfalls einen Aufsichtsratsposten bei der EnBW in Aussicht stellen“ könnte. Argument von Notheis: „Das nimmt er bestimmt gerne an, zumal er aus der Politik ausscheidet.“