Priesterweihe in einer deutschen Kirche: Die Zahlen der Neugeweihten und neuaufgenommenen Priesteramtskandidaten ist rapide gesunken Foto: dpa

Über die Bürde und Last als Priester zölibatär zu leben, ist schon viel geschrieben worden. Jetzt hat ein Experten-Team die erste deutschlandweite quantitative Studie vorgestellt.

Das sagt der Experte:

„Sorge für die Seelsorgenden“, heißt die Studie, für die zwischen 2012 und 2014 mehr als 20 000 Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten in Deutschland angeschrieben wurden. 8600 von ihnen schickten den Fragebogen zurück – darunter 4200 Priester. „Das sind mehr als 40 Prozent, was ein sehr guter Rücklauf ist“, sagt Eckhard Frick (59), Professor für Spiritual Care an der Münchner Universitätsklinik.

„Überrascht sind wir von manchen Details, zum Beispiel die hohe Lebenszufriedenheit und die gute Berufszufriedenheit. Angesichts der hohen Berufsbelastungen sind die Burnout-Werte verhältnismäßig gering. Äußere Faktoren wie die Größe der Pfarrverbände wirken sich kaum aus auf die Belastung. Es sind mehr die inneren Faktoren, die Art wie ein Seelsorger mit der Belastung umgeht.“ Die entscheidende Frage sei: „Wie geht der Einzelne mit den Veränderungen um? Wir nennen das Kohärenz-Gefühl.“

Die Schotten dicht

Es gehe darum, ob ein Seelsorger in seiner „Lebenslinie“ ein Grundzutrauen habe. Ob alles in seinem Leben und Beruf stimmig und sinnvoll sei, auch wenn es große Änderungen gebe. „Anders ausgedrückt: Ob jemand eher ängstlich die Schotten dicht macht und in sich selber oder ins bloß Innerkirchliche zurückzieht.“

Rund ein Viertel der Priester würde sich nicht mehr für die zölibatäre Lebensform entscheiden, so die Studie. Ein weiteres Viertel ist mit ihrer Lebenssituation unzufrieden. Frick: „Für diese Gruppe ergeben sich auch erhöhte Werte hinsichtlich ihrer psychosomatischen Belastung. Wir wissen aber nicht, ob diese Belastungen schon vor der Berufswahl vorhanden waren.“

Auch Priester müssen die Chance haben sich zu entwickeln

Aspekte wie Zufriedenheit mit dem Beruf, Engagement, Stressbelastung, Gesundheit, Burn-Out-Bedrohung, Beziehungsstrukturen sind von den Experten untersucht worden. Die Ergebnisse sind vielschichtig, wie der Psychiater erklärt: Wenn Kleriker Krisen durchlebten, würden diese „nicht unbedingt eine totale Katastrophe darstellen, sondern möglicherweise Umorientierungs- und Vertiefungsprozesse sind.“

Auch Seelsorger müssten die Chance bekommen, sich zu entwickeln und unter neuen Bedingungen eine andere Form ihres Lebensstils und ihrer Tätigkeit zu finden. „Viele schaffen das auch. Viele nehmen diese Krise und eine gewisse Schwäche als Chance an und versuchen, etwas daraus zu machen.“

Jüngere Priester beklagen die unzureichende Vorbereitung auf den Dienst

Bei den Älteren hätte man die Erfahrung gemacht, dass sie Krisen schon bewältigt hätten. „Denen geht es dann meist besser als den Jüngeren, denen der Wind entgegen bläst.“ Viele von ihnen seien unzufrieden mit ihrer Ausbildung und fühlten sich nicht ausreichend auf den Lebensstil der Ehelosigkeit vorbereitet und unterstützt. „Eine persönliche, nicht nur pflichtmäßig erfüllte Spiritualität ist der große Motivator für die Seelsorge – über alle Berufsgruppen hinweg.“

Sollte der Zölibat abgeschafft werden? „Wir möchten eine Debatte anstoßen – auch innerkirchlich. Davon kann die Lebensform des Priesters nur profitieren.“ Was ihn betrifft, er sei mit sich im Reinen: „Ich bin 59 und wurde 1992 zum Priester geweiht. Ich kann die Frage mit einem einfachen Ja beantworten. Ich bin sehr gerne Priester.“

Das sagt ein Ex-Priester:

Wer sich zum Priester berufen fühlt, muss ehelos leben – oder gehen. Wie Claus Schiffgen. „Ich bin nie mit wehenden Fahnen ins ehelose Leben gegangen“, sagt der Ex-Kleriker. „Für mich war entscheidend, dass ich Priester werden wollte.“ Schiffgen (52), der 1992 geweiht wurde, legte 1999 sein Amt nieder und heiratete. Heute arbeitet er als Religions- und Ethiklehrer und leitet die Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen (VkPF) vor. „Wir gehen von mindestens 50 Prozent der Priester aus, die mit dem Zölibat Probleme haben.“

100 000 Priester haben weltweit ihr Amt aufgegeben

Seit 1965 haben schätzungsweise 100 000 Geistliche weltweit ihr Amt aufgegeben. 2013 gab es der Deutschen Bischofskonferenz zufolge in Deutschland 14 490 Welt- und Ordenspriester in den 27 Bistümern. 1995 waren es noch 18 663. Nur noch knapp über 100 junge Männer haben 2013 ein Theologiestudium begonnen, mit dem Ziel, Priester zu werden. 1984 waren es noch rund 650.

„Einsam lebender Mensch“

Die Frage ist, wo Priester neue Kraft tanken können? Eine Partnerschaft – ob mit einer Frau oder einem Mann – ist ihnen untersagt. Auch wenn viele trotzdem in Beziehungen leben, so Schiffgen. „Der zölibatär lebende Priester ist häufig ein einsam lebender Mensch. Aufgrund seiner Position in der Gemeinde ist er oft isoliert.“ Schätzungen der VkPF zufolge haben rund ein Drittel der Priester eine heterosexuelle und ebenso viele eine homosexuelle Beziehung. Die übrigen würden den Zölibat tatsächlich leben.

„Die Priester werden von der Kirchenleitung im Stich gelassen.“Unter Priestern gebe es eine viel beschworene Mitbrüderlichkeit. Doch die gehe nicht so weit, dass man über Persönliches rede. Schiffgen: „Priester sind oft Einzelkämpfer, die mit ihren Problemen alleine fertig werden müssen.“

Das sagt ein Priester:

Martin K. (Name geändert) ist seit 24 Jahren Priester. Vom ersten Tag der Weihe an hatte er Probleme mit dem Zölibat. „Ich habe immer wieder Sehnsüchte nach Geborgenheit und nach Zärtlichkeit. Gebet und ein durchaus erfülltes Priesterleben können das nicht wegretouchieren. Ich kann das auch nicht sublimieren. „

Kultur des Verschweigens und Vertuschens

Er würde viele Priester kennen, denen es ähnlich wie ihm gehe. „Priester, die in schwulen Beziehungen leben; Priester, die eine Freundin haben bis in die Bistumsspitze hinein und die ich dennoch für großartige Priester halte! Es ist traurig, dass immer noch nicht offen darüber gesprochen werden kann in unserer Kirche.“

Seinen Beruf würde er niemals aufgegeben, sagt Martin K.. „Ich liebe diesen Beruf nach wie vor – außerdem wäre das mein berufliches Aus, weshalb ganz sicher auch solche Priester im Amt bleiben, die eigentlich diesen Zwiespalt ‚gelebte Beziehung und Amt‘ nicht mehr aushalten.“

Der schönste Beruf – wäre da nicht der Zölibat

Der einzige Grund, warum er nicht mehr Priester werden würde, sei die zölibatäre Lebensform. „Eigentlich gibt es keinen schöneren Beruf für mich, vor allem, wenn ich spüre, wie sehr mir selbst die Menschen vertrauen, die sich ansonsten mit der Kirche schwer tun.“ Er sei für die Freistellung, also für den charismatischen Zölibat. Das würde nicht notwendigerweise heißen, dass die Kirche durch die Aufhebung mehr Nachwuchs bekäme. „Zumindest würden wir diejenigen nicht mehr verlieren, die jetzt noch vor die Wahl gestellt sind, sich für eine Partnerschaft oder das Amt zu entscheiden.“

Stirbt das Priestertum aus? Zumindest in Europa und Nordamerika

Ob er glaube, dass sich am Zölibat etwas ändern werde? „Nein. Bisher hat es auch Franziskus – trotz seiner Offenheit und Herzlichkeit – nicht geschafft, an diesem Tabu zu rütteln. Die Folge wird ein weiterer Rückgang und damit auf Dauer das Sterben des katholischen Priestertums in Europa und Nordamerika sein.“

Hintergrund zum Zölibat

Der Zölibat (lateinisch: caelebs, allein, unvermählt lebend) meint das Versprechen, sich für das weitere Leben zu Ehelosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit zu verpflichten. Neben der römisch-katholischen Kirche kennen auch die orthodoxe, anglikanische und evangelische Kirche ein solches Versprechen. In der katholischen Kirche gilt es für alle Priester, in den unierten Ostkirchen sowie in den orthodoxen Kirchen nur für Bischöfe und Mönche.

Die Frage, wie viele der weltweit rund 400 000 Weltpriester sich an das Zölibatsversprechen halten, ist seriös nicht zu beantworten. Zahlen, wonach jeder zweite Priester irgendwann einmal gegen das Gebot sexueller Abstinenz verstößt, sind reine Schätzungen. Das Gleiche gilt für die Zahl homosexueller Kleriker, deren Zahl der inzwischen emeritierte Augsburger Theologieprofessor Hanspeter Heinz auf 20 Prozent schätzte.

Der Enthaltsamkeitszölibat, bei dem auch Verheiratete die Weihen empfingen und ab dem Weihetag enthaltsam leben mussten, wurde auf der Synode von Elvira (306) als Gesetz formuliert. 1022 ordnete Benedikt VIII. an, dass Geistliche nicht mehr heiraten durften. Bis zum Zweiten Laterankonzil 1139 gab es verheiratete und unverheiratete Priester. Das Konzil machte die Weihe zu einem trennenden Ehehindernis. Seitdem ist der Zölibat Zugangsvoraussetzung für den Priesterberuf. Daran hat sich bis heute nichts geändert – trotz aller Forderungen im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), ihn aufzuheben. Schätzungsweise 100 000 Priester haben seitdem ihr Amt aufgegeben.