Anu Komsi (Mitte hinten), Peter Tantsits, Michael Leibundgut Foto: Sandra Then

Seit 1985 wurde der in den 1970-er Jahren komponierte erste Teil von Karlheinz Stockhausens siebenteiligem Opernzyklus „Licht“ nicht mehr aufgeführt. Am Samstag hat die Regisseurin Lydia Steier den sechsstündigen Koloss neu geerdet.

Basel - In der linken Hand ein Glas Whiskey, in der rechten eine Zigarette. Die Band im Foyer des Theaters Basel hat noch Pause und wird erst nach und nach vom Dirigenten im roten Anzug zusammengetrommelt. Man trägt Schlaghosen und Langhaarperücke. Und gibt sich auch noch betont relaxt, als die sechsstündige Oper „Donnerstag“ von Karlheinz Stockhausen unter der Leitung von Titus Engel mit gestanzten Akkorden im Blech beginnt. Seit der Londoner Aufführung im Jahr 1985 wurde der in den 1970-er Jahren komponierte (UA: 1981 in Mailand) erste Teil des siebenteiligen Opernzyklus „Licht“ nicht mehr aufgeführt. Es geht um das ganz Große – die Menschwerdung durch Musik und den Kampf zwischen Gut und Böse. Dafür hat Stockhausen eine sogenannte Superformel aus drei Tonreihen komponiert, die allen sieben Opern zugrunde liegt und die Protagonisten Michael, Eva und Luzifer charakterisiert. Wenn nun wie in Basel die geleckte Showband dieses geradezu heilige musikalische Material erstmals präsentiert, dann zeigt die Regisseurin Lydia Steier gleich, dass sie den 2007 verstorbenen Komponisten vom Altar seiner Jünger wieder zurück auf die Erde stellen möchte.

Konkrete Bilder zum assoziativ gehaltenen Libretto

Das sehr assoziativ gehaltene Libretto setzt das Regieteam (Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Ursula Kudma) mit konkreten Bildern um. Ein gläserner Raum in der Mitte ist die zentrale Bühne, um die sich alles dreht. Hier wird im autobiografisch geprägten ersten Akt („Michaels Jugend“) der Sohn von der Mutter umarmt und vom Vater zurückgewiesen. Hier wird aber auch die psychisch kranke Mutter qualvoll vergast – ein Schicksal, das Stockhausens eigene Mutter durch ein Euthanasie-Programm der Nazis erleiden musste. Michael (mit heller Brillanz und weicher Stimmführung: der Tenor Peter Tantsits) betrachtet seine Kindheit. Und wird dabei von einem Trompeter (fulminant: Paul Hübner) und einer Tänzerin (behutsam: Emmanuelle Grach) begleitet, getröstet und gespiegelt. Auch die anderen zwei Protagonisten hat Stockhausen dreifach besetzt. Der hochexpressiven, präzise agierenden Sopranistin Anu Komsi stehen noch eine Bassetthornspielerin im weißen Federkleid (Merve Kazokoglu) und eine Tänzerin (Evelyn Angela Gugolz) zur Seite. Luzifer wird vom präsenten Bassisten Michael Leibundgut, dem Posaunisten Stephen Menotti und dem Tänzer Eric Lamb verkörpert. Präzision herrscht auch beim in jedem Akt anders aufgestellten Sinfonieorchester Basel (unaufgeregt und klar: Dirigent Titus Engel) und am Mischpult, wo mit Kathinka Pasveer eine langjährige Begleiterin des Komponisten sitzt. Die Balance zwischen den Zuspielbändern und der live gespielten und gesungenen Musik ist perfekt.

Man hört, schaut und staunt

Die Klänge wandern durch den Raum – oder sind als Störton kaum zu orten. Der rein instrumentale zweite Akt („Michaels Reise um die Erde“) wird in die Psychiatrie verlegt. Der dritte („Michaels Heimkehr“) zeigt den Erzengel als Messias mit dekolletiertem weißen Gewand, der eine verblödet-fanatisierte Anhängerschaft in silbernen Jogginganzügen um sich geschart hat. Rolf Romei singt und spielt diese Lichtgestalt mit Würde und Strahlkraft. Die beiden aus der Torte steigenden Teufel werden vom Trompeten- und Tänzerinnen-Michael gekonnt weggeblasen und weggeboxt. Am Ende eines rätselhaften, bilderreichen, musikalisch opulenten Abends betritt man den Theatervorplatz, wo man nochmals die Essenz des Werkes hört. Fünf Trompeter haben sich für den „Abschied“ auf Balkonen und Dächern postiert und spielen sich die Töne der Superformel zu. Man hört, schaut und staunt.

Weitere Vorstellungen am 29. September sowie am 1. und 2. Oktober