Der Linken-Kandidat Reinhard Neudorfer wählt als Treffpunkt ein Eiscafé in der Waiblinger Altstadt – warum, verrät er in unserem Video.

Waiblingen - Hier bin ich Stammgast“, verkündet Reinhard Neudorfer und begrüßt sofort bei der Ankunft an seinem Herzensort den Wirt des Eiscafés an der Ecke Lange Straße/Marktgasse mitten in der Waiblinger Altstadt. Hier sei der Platz, an dem er regelmäßig Info-Stände habe. „Hier treffe ich die Leute, die mich kennen und mit denen ich reden kann.“

Hier tritt der Mann, der für Die Linke zum wiederholten Mal als Bundestagskandidat ins Rennen geht, auch in seiner Eigenschaft als agiler Gewerkschafter oder als Attac-Aktivist auf. Sitzungen in Räumen seien notwendig, sagt der 70-jährige Dauergast am Marktgasseneck, aber noch viel wichtiger seien für ihn die Plätze, an denen man Menschen treffen und mit ihnen über deren Probleme, Wünsche und Ansichten über die Welt und die Politik reden könne. So wie vor dem Café da Vinci im Waiblinger Zentrum – „da kommt man an die Leute ran“.

Auf der Landesliste ist Neudorfer nicht vertreten

Anlässe, um an die Leute herankommen zu wollen, hat der alte Kämpe aus dem ganz linken Parteienspektrum genügend gehabt in den Jahrzehnten seines politischen Seins im Remstal. Für den Bundestag hat er zum Beispiel schon anno 2002 kandidiert, damals für die PDS. Und im Jahr 2001 ist er bei der Waiblinger OB-Wahl gegen den damaligen Amtsinhaber Werner Schmidt-Hieber angetreten. In jenem Fall nicht für seine Partei, sondern einfach als „verantwortungsbewusster Einzelbürger“, betont der gebürtige Münchner, der seit gut 40 Jahren in Waiblingen lebt.

Vor vier Jahren ist er altershalber bei der Bundestagswahl nicht mehr angetreten – die Jüngeren sollten ran. Diesmal haben sie ihn dann doch wieder in die Bütt gebeten, die Parteifreunde der Linken – quasi nach dem Motto: Einmal Wahlkämpfer – immer Stimmenfänger. Und da kann ein Vollblut-Linker wie Reinhard Neudorfer natürlich nicht Nein sagen. Und: Es gehe ihm ausschließlich um Stimmen für Die Linke, betont er, auf der Landesliste ist er gar nicht vertreten.

Tschernobyl als Grund für den Ausstieg aus der DKP

Als Alt-68er mache er immer, was er für richtig halte, sagt der Diplomverwaltungswirt mit sozialpädagogischem Studiumsschwerpunkt über sich. Die Studentenbewegung hat er noch in München mitbekommen, ist 1972 Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei geworden. Tschernobyl sei schließlich der Knackpunkt für ihn gewesen, der mit bewirkt habe, dass er im Jahr 1989 ausgetreten ist.

Inhaltliche Differenzen nennt er dabei für die Tatsache, dass sich für ihn „nicht lösbare Widersprüche“ aus der gezielt verharmlosenden Parteihaltung zur offenkundigen nuklearen Katastrophe in der Ukraine ergaben. „Wir sind damals fest davon ausgegangen, dass die Nukleartechnik im Realsozialismus jederzeit beherrscht wird, das war Blödsinn.“ Nach einem „dreiviertel Jahr Parteipause“ wurde dann die PDS seine neue politische Heimat, zeitweise war Reinhard Neudorfer sogar deren baden-württembergischer Landesvorsitzender.

Neudorfer hält die Identitären für „gefährlicher als die AfD“

Heute als Kandidat der Linken ist mehr Gerechtigkeit ein politischer Schwerpunkt. Das ergebe sich teils schon aus seiner beruflichen Tätigkeit mit benachteiligten Jugendlichen. Auch international seien Hunger und Armut in erster Linie ein Verteilungsproblem. Hier sei seitens Deutschlands eine grundlegend andere Entwicklungs- und Handelspolitik notwendig. Schon der Handelsüberschuss Deutschlands sei international nicht tragbar. „Im Handelsbereich haben wir neokoloniale Strukturen“ lautet Neudorfers globale Analyse – verbunden vor Ort mit dem entsprechenden Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhalten der Herrschenden.

Das Thema Bildung inklusive Inklusion sei ihm außerdem ein zentrales Politikfeld, sagt Neudorfer beim Gespräch im Café an der Marktgasse. Da herrsche leider die Gefahr, dass in der Realität manches Mal die Inklusion zum Sparmodell mutiere. Und eines habe ihn natürlich politisch sein ganzes Leben lang begleitet, betont der Kandidat der Linken: Das antifaschistische Engagement, „der Kampf gegen Nazis und rechte Gruppen aller Art, die sich in letzter Zeit ausgebreitet haben“. Neben der rechtspopulistischen Partei AfD gelte sein Hauptaugenmerk der sogenannten identitären Bewegung, die er für deutlich schlauer und gefährlicher halte.

Fünf Fragen, fünf „Tweets“ als Antworten

Wir haben die Kandidaten gebeten, die Fragen im Stil der Internet-Kurznachrichten-Plattform Twitter zu beantworten. Dort sind für eine Nachricht maximal 140 Zeichen erlaubt.

1) In fünf Jahren kommt der Strom aus meiner Steckdose aus... ?

...erneuerbaren Energien, wie schon bisher bei uns über Greenpeace Öko-Strom. Ökologie muss gerade für Linke eine wesentliche(re) Rolle spielen.

2) In fünf Jahren ist die Rente sicher, weil... ?

...dann hoffentlich Sarah Wagenknecht Finanzministerin ist und einen grundsätzlich anderen Kurs steuert, andernfalls ist nichts sicher.

3) In fünf Jahren ist das Feinstaubproblem in Stuttgart... ?

...mit unserer Landesregierung weiter ungelöst, weil sie sich nicht traut, der Autoindustrie Contra und dem ÖPNV radikal Vorrang zu geben.

4) In fünf Jahren sind Flüchtlinge im Rems-Murr-Kreis...?

...überwiegend, wenn auch nicht alle, integriert, vorausgesetzt andere Sozial-, Arbeitsmarkt-, Wohnungs-, und Bildungspolitik.

5) Schon heute würde ich an Donald Trump twittern:

Fehlanzeige, da Geldverschwendung; Amtsenthebung kein Fortschritt, da Nachfolger ein rechtsextremer christlicher Fundamentalist.