Er kennt die Stuttgarter Straßen gut: Ralf Thomas leitet die Integrierte Verkehrsleitzentrale in Bad Cannstatt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stuttgarts Straßen werden Tag und Nacht überwacht. Die Daten laufen in Bad Cannstatt zusammen und sollen genutzt werden, um Staus und Feinstaub zu reduzieren. Doch eine inzwischen weit verbreitete Technik behindert die Arbeit der Verkehrslenker.

Stuttgart - Wenn in Stuttgart mal wieder alles steht, weiß Ralf Thomas, woran es liegt. Er leitet das Gehirn von Stuttgarts Straßen, die Integrierte Verkehrsleitzentrale (IVLZ) in Bad Cannstatt. Ihm entgehen kein Stau, keine Baustelle und kein Unfall, denn er kennt Stuttgart wie kein anderer.

„Wir wissen genau, was auf den Straßen passiert, denn bei uns laufen alle Daten zusammen“, sagt Thomas. Die IVLZ sieht aus wie die Schaltzentrale einer Raumfähre. Überall hängen Bildschirme, bunte Lichter blinken, überall ist Bewegung – mit Ausnahme des Verkehrs, denn der steht. Auf dem Bildschirm sehen die Mitarbeiter, wo es sich staut. Die bewegten Bilder liefern zahlreiche Kameras, die in ganz Stuttgart installiert sind und wichtige Verkehrspunkte in Echtzeit filmen. Ein Überwachungsskandal? Nicht für Ralf Thomas: „Wir zeichnen nichts auf, das ist alles live. Und das Bild ist so schlecht, dass man keine Kennzeichen erkennen kann.“ Die Arbeit der Verkehrsleitzentrale ist wichtig, denn Stuttgart ist Deutschlands Stau-Hauptstadt. Zweieinhalb Tage standen die Autofahrer in der schwäbischen Metropole 2015 im Stau.

335 Messstellen und 700 Taxis überwachen den Verkehr

Deshalb beobachten die Mitarbeiter den Verkehr in Stuttgart sehr genau und messen ihn gleich mehrmals. Zum Beispiel durch sogenannte Induktionsschleifen, die in die Fahrbahn eingebaut sind. „Das ist eine ganz einfache mathematische Geschichte, man hat zwei Metallschleifen hintereinander und man misst die Zeit, die das Auto braucht, um drüber zu fahren. So berechnen wir die Geschwindigkeit“, sagt Thomas. 335 dieser Messstellen sind in Stuttgart verbaut. Zusätzlich bekommt Thomas noch die GPS-Daten und die Geschwindigkeit von 700 Stuttgarter Taxis. „Diese Daten sind nützlich, damit wir auch dort messen können, wo wir keine Messstellen haben“, so Thomas.

Dann beginnt die Arbeit in der Verkehrsleitzentrale. Die Operatoren müssen festlegen, ab welcher Geschwindigkeit der Verkehr als Stau bezeichnet wird - und wann man noch von „zäh fließendem Verkehr“ sprechen kann. Dabei gibt es durchaus Unterschiede, weiß Ralf Thomas: „Im Heslacher Tunnel ist es zum Beispiel noch kein Stau, wenn ich langsam rolle. An anderer Stelle würde man schon von Stau sprechen. Eigentlich ist Stau Stillstand.“

Die Abgrenzung ist auch für die erfahrenen Verkehrslenker nicht immer einfach. Durch die Schwellenwerte versuchen sie, für jede Strecke in Stuttgart einzuordnen, ob der Verkehr ideal fließt oder nicht. Auf einer Straßenkarte wird die Verkehrslage in Ampelfarben abgebildet und im Internet zur Verfügung gestellt.

Navigationsgeräte sind zur Stauvermeidung nutzlos

Der Autofahrer kann gegen Stau und stockenden Verkehr kaum etwas unternehmen. Insbesondere moderne Navis, die einen Stau anzeigen, helfen nicht dabei, Staus zu vermeiden, weiß Thomas: „Das Navi zeigt mir einen Stau erst an, wenn es schon zu spät ist. Da sind die ersten Autos quasi die Versuchskaninchen und erst wenn die im Stau stehen, geht die Reisezeit hoch.“

In der Integrierten Verkehrsleitzentrale versuche man, bereits vorher in den Verkehr einzugreifen, zum Beispiel durch elektronische Verkehrstafeln und die Schaltung der Ampeln. So können die Operatoren aus Bad Cannstatt für längere Grünphasen sorgen oder die Autos über alternative Strecken führen. Problematisch wird es dann, wenn das Navigationssystem einen anderen Weg empfiehlt, als das elektronische Verkehrsschild. „Navis versuchen, den schnellsten Weg zu finden. Der Fahrer muss sich dann entscheiden, wem er folgt. Aber die Navis wissen eben nicht, warum wir den Verkehr umleiten. Da müssen wir mehr mit den Herstellern zusammen arbeiten“, erklärt Ralf Thomas.

Viele Autofahrer nutzen allerdings weniger stationäre Navigationsgeräte, dafür aber die App Google-Maps. Der Verkehrsexperte sieht dies kritisch: „Google sammelt Daten aus unterschiedlichen Datenquellen. Dort kommen zum Beispiel die Reisezeiten der Tom-Tom-Geräte rein. Meines Wissens laufen auch die Handy-Daten mit rein. Da wird dann gemessen, wie lange der Nutzer von A nach B braucht. Man sammelt eben alle Daten, die man nur haben kann, aber es ist letztlich eine Black-Box und ich weiß nicht, auf welcher Datenbasis Google mich führt.“

Die Verkehrsleitzentrale lenkt fast unsichtbar

Zukünftig soll vor allem die Zusammenarbeit der IVLZ mit den Herstellern der Navigationsgeräte besser werden. Deshalb arbeitet man an einer Lösung, wie auch die Navigationsgeräte die Informationen aus der Verkehrsleitzentrale bekommen. Momentan scheitert dies noch an finanziellen Mitteln und technischen Möglichkeiten. In Kooperation mit dem Gerätehersteller Garmin testete die Verkehrsleitzentrale bereits mit 100 Testfahrern, wie 16 der Verkehrslenkungsstrategien an die Navigationsgeräte weitergegeben werden können.

Die Fahrer bewerteten das System, das direkt mit Informationen aus der Verkehrsleitzentrale gefüttert wurde, für gut. Für Thomas ist das ein zukunftsweisender Schritt: „Da stehen wir noch ganz am Anfang. Aber es ist unser langfristiges Ziel, die Autofahrer umfassend über ihre Navis zu informieren. Nur ein gut informierter Verkehrsteilnehmer kann sein Verhalten ändern.“ Selbst wenn das System in naher Zukunft marktreif werde, könne man jedoch nur den Verkehr im Raum Stuttgart beeinflussen. Für eine deutschlandweite Zusammenarbeit aller Verkehrsleitzentralen gibt es momentan weder Pläne noch eine geeignete technische Infrastruktur.

Gutes Verkehrsmanagement schafft noch keine Kapazitäten

Fest steht für Stuttgart aber, dass die Arbeit der Integrierten Verkehrsleitzentrale der Verbesserung und „Schadensbegrenzung“ dient und nicht der Beseitigung von Staus. Für Thomas ist der Traum vom staufreien Stuttgart eine Utopie: „Staus lassen sich nicht grundsätzlich verhindern. Das liegt an den begrenzten Kapazitäten der Straßen. Und wenn die Straßen den ganzen Tag frei sind, nutzen mehr Menschen das Auto und es kommt zu mehr Verkehr.“ Daher betreibe die Integrierte Verkehrsleitzentrale vor allem ein Kapazitätsmanagement. „Wir versuchen, die Autofahrer bestmöglich auf die vorhandenen Straßen zu verteilen und alle Kapazitäten auszunutzen“, sagt Thomas. Und wenn trotz ausgelasteter Straßen alles still steht, setzt man auf eine Verhaltensänderung der Autofahrer. „Dafür sind Informationen ganz wichtig“, rät Thomas.

Ein stetiger Verkehr in der Stadt tut auch der Umwelt gut. Denn die feinstaubbelastete Stuttgarter Luft wird vor allem durch Autos verpestet. Wenn der Verkehr fließt, sinkt diese Belastung, weiß Thomas: „Weniger Anfahren und Abbremsen führt zu weniger Feinstaub. Trotzdem muss man den Verkehr natürlich reduzieren. Das ist Fakt.“