Die jahrelangen Baustellen und der Lärm durch ungebetene Besucher vor den Mauern belasten die Anwohner der JVA in Stammheim Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das wohl bekannteste Gefängnis in Deutschland befindet sich im Wandel. Derzeit laufen in der JVA Stammheim große Umbauarbeiten. Zudem ist sie bis zum Anschlag belegt. Das bringt vielen Anwohnern Lärm – durch Maschinen ebenso wie durch illegale Besucher.

Stuttgart - Die Anwohnerin, die von ihrem Haus aus einen unverstellten Blick auf die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stammheim genießt, ist sichtlich verärgert. „Dieses ständige Geschrei geht uns hier allen gehörig auf die Nerven“, sagt sie, während sie ihren Hund ausführt. Gemeint sind Freunde oder Angehörige der Gefangenen, die regelmäßig vor den Mauern des Gefängnisses auftauchen, um sich brüllend von außen mit den Insassen zu unterhalten. Erlaubt ist das nicht. Selbst ein Muezzin sei gelegentlich schon aufgetaucht, um Botschaften loszuwerden, erzählt die Nachbarin.

Am nächsten Montag gibt es nach sieben Jahren erstmals wieder eine Einwohnerversammlung in Stammheim. Die JVA dürfte dabei eine Rolle spielen. Denn im Internet konnten die Bürger vorab Fragen an die Stadt loswerden. Und auch dabei nimmt das Problem der unerlaubten Kontaktaufnahme Raum ein. Es beschweren sich nicht nur die direkten Nachbarn, sondern auch Leute, die mehrere Straßen entfernt wohnen. „Es ist jeden Abend etwas anderes los. Der Lärm ist eine massive Belastung. Wann wird hier endlich etwas zum Schutz der Anwohner unternommen?“, schreibt eine Frau. Ein Nachbar spricht von „allen möglichen und unmöglichen Tages- und Nachtzeiten“, ein anderer von „extremer Belästigung“.

Bezirksvorsteherin Susanne Korge kennt die Beschwerden. „Diese Rufe gibt es schon immer, man hat aber das Gefühl, dass sie zuletzt zugenommen haben“, sagt sie – und erzählt von Feuerwerken, die Angehörige um Mitternacht vor den Toren des Gefängnisses veranstalten, wenn ein Gefangener Geburtstag hat. Die Polizei wisse Bescheid, könne jedoch nicht jedes Mal eingreifen. „Das gab es schon immer“, sagt ein Polizeisprecher. Die Tricks der ungebetenen Besucher änderten sich allerdings. Weil das JVA-Personal vor jedem Hofgang das Gelände nach über die Mauer geworfenen Gegenständen absucht, sind aus anderen Gefängnissen inzwischen Fälle bekannt, in denen versucht wurde, mit Drohnen Drogen oder Handys ins Innere zu schmuggeln. In Stammheim gab es das bisher noch nicht, doch die Behörden sind wachsam.

Manche Handwerker sind noch spät nachts an der Arbeit

Die Rufe sind aber nicht der einzige Grund für den Ärger, weiß Bezirksvorsteherin Korge. „Die großen Baustellen auf dem Gelände kommen dazu, die seit Jahren die Leute belasten“, sagt sie. Auch da gebe es Probleme, manche Handwerker seien mitten in der Nacht am Werk. Das Land bemühe sich zwar, unter anderem mit einem Krisengespräch im vergangenen Januar, wirklich im Griff habe man die Lage aber nicht.

Auch der Verkehr auf der B 27 und Bauprojekte im benachbarten Kornwestheim steigerten das Lärmproblem im Ort. „In der Summe haben wir viele Beschwerden. Besonders der Stammheimer Norden bekommt das alles ab“, sagt die Bezirksvorsteherin.

„Kontaktaufnahmen von außen mit Gefangenen sind nicht erlaubt“, sagt Steffen Ganninger. Der Sprecher des Justizministeriums weist darauf hin, dass es sich um eine Ordnungswidrigkeit handele, die mit einer Geldbuße von bis zu 1000 Euro geahndet werden könne. Er vermutet, dass die Belastung der Anwohner zuletzt gestiegen sei, weil auch die Gefangenenzahlen wieder anwachsen. Derzeit sitzen rund 740 Menschen in der JVA ein. Zwischendurch waren es, bedingt durch die Baumaßnahmen, zeitweise fast 200 weniger. Weil aber die Zahl der Untersuchungshäftlinge im Land zuletzt stark gestiegen ist, müssen auch in Stammheim alle Reserven genutzt werden.

„Kontaktaufnahmen gibt es besonders mit den Untersuchungshaftgefangenen, die im Hochhaus untergebracht sind“, weiß der Sprecher. Die bauliche Situation lade förmlich dazu ein. Die Fenster sind hoch über dem Boden, frontal auf den Außenbereich ausgerichtet und nahe an der Mauer. „Der laufende Neubau von fünf Hafthäusern wird diese unglückliche bauliche Situation beenden und Kontaktaufnahmen deutlich erschweren“, hofft Ganninger. Die neuen Gebäude seien deutlich weiter von den Außensicherungen der JVA entfernt.

Hafthäuser werden später fertig

Allerdings ziehen sich die Baumaßnahmen, die ebenfalls Lärm verursachen, länger hin als gedacht. Die fünf neuen Hafthäuser hätten bereits Ende vergangenen Jahres bezogen werden sollen. Unter anderem wegen eines Wasserschadens und der Insolvenz eines beteiligten Unternehmens wird es ein Jahr später. „Die Fertigstellung ist Ende 2016 vorgesehen“, sagt Michaela Reiter vom Finanzministerium. Das neue Prozessgebäude für das Oberlandesgericht Stuttgart auf dem Gelände soll Ende 2017 fertig sein. „Durch die Baustelle kam es zu Lärmbelästigungen für die Anwohner“, so Reiter. So sei zum Beispiel der Bauzaun durch Wind beschädigt worden und umgekippt, einzelne Firmen hätten Arbeiten außerhalb der vereinbarten Zeiten ausgeführt. Man habe sie schriftlich aufgefordert, das zu ändern. Geholfen hat es bisher offensichtlich nicht.