Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge stehen von vielen Seiten unter Druck. Dem halten nicht alle stand. Foto: dpa

Viele junge Flüchtlinge, die ohne Begleitung nach Deutschland gekommen sind, stehen von vielen Seiten unter Druck: Sie wollen schnell arbeiten, um die Familie zuhause unterstützen zu können. Aber das klappt nicht, weil sie erst einmal die neue Sprache lernen und die Schulbank drücken müssen.

Stuttgart - Alle stehen ziemlich unter Druck. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UmF), weil vieles nicht so läuft, wie sie sich das vorgestellt haben und ihre Familien in der Heimat hohe Erwartungen an sie haben. Ihre professionellen Helfer haben es zwar mit jungen Menschen zutun, die oft höflich und sehr willig, aber eben auch ungeduldig sind und zu denen sie nicht nur wegen bestehender Sprachproblemen nicht immer den nötigen Zugang finden.

Auf diesen Nenner lässt sich etwas verkürzt der Erfahrungsaustausch von Praktikern beim jüngsten Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (Eva) bringen, der sich mit dem Thema der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge befasst hat. Welche Herausforderung diese Gruppe für die Sozialarbeit bedeutet, machte Regine Esslinger-Schartmann, die für die Eva im Rems-Murr-Kreis tätig ist, mit Zahlen deutlich. 2014 lag die Zahl der jungen Flüchtlinge im Land bei 1215 (Stuttgart: 260), ein Jahr danach waren es 4759 (in Stuttgart registrierte man 989 Neuaufnahmen), bis im April stieg die Zahl im Land auf 7041. In Stuttgart waren es bis Ende Juni insgesamt 1399.

Die Sprachbarriere bleibt ein Problem

Üblicherweise suche man Immobilien für die Betreuung von Jugendlichen zuerst, baue diese dann um und entwickle Konzepte, in diesem Fall sei das aber gerade umgekehrt gewesen, so Regine Esslinger-Schartmann. „Diesmal waren die Jugendlichen schon da.“ Viele Mitarbeiter mussten eingestellt werden, was zunehmend schwieriger werde, viele Berufsanfänger und „Nichtfachkräfte“. Jörn Reusch, ebenfalls für die Eva in diesem Bereich tätig, sieht letzteres positiv, nicht nur wegen der guten Erfahrungen. „Wir sind flexibler geworden, das ist hilfreich.“

Eine resignative Stimmung herrschte bei der Aussprache keineswegs, auch wenn es immer wieder um die schwierigen Seiten der Arbeit ging. So sei es auch für die Mitarbeiter nicht immer einfach, die schweren Schicksale ihrer Schützlinge, die nicht selten traumatisiert seien, auszuhalten. Und deren „Wut, dass nicht alles so schnell wie erwartet funktioniert“, sagte Reusch. Die Sprachbarriere berge immer wieder „viele Risiken von Missverständnissen und Konflikten“. Dolmetscher jedenfalls könnten die Sozialarbeiter im Umgang mit den minderjährigen Flüchtlinge noch mehr gebrauchen. Auch die teils langen Wartezeiten auf einen Platz in einer Vorbereitungsklassen seien „Gift“ für die jungen Leute, machte Regine Esslinger-Schartmann deutlich. Dadurch würden die Betroffenen „stark demotiviert“, erklärte Jörn Reusch.

Mit einem Bein daheim, mit dem anderen in neuer Umgebung

Viele der jungen Flüchtlinge kämen in dem Glauben, sie könnten sofort nach der Ankunft arbeiten und leicht Geld verdienen, um dann ihre Familie zuhause zu unterstützen. „Sie müssen die Trennung verarbeiten und haben oft Aufträge: schick uns Geld, hol uns nach“, so Reusch. Viele Jugendliche, zu etwa 95 Prozent sind es Jungs, „sind diesem Druck nicht gewachsen“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Jungenarbeit bei der Eva. Deshalb sei es entscheidend, noch mehr über die Herkunft der jungen Leute zu erfahren und diesen das hiesige System besser zu vermitteln, um Verständnis und tiefere Beziehungen aufzubauen. So könnten „kulturelle Missverständnisse“ vermieden werden. Reusch: „Wir müssen mehr voneinander wissen, um Spannung rauszunehmen.“