Über einen ersten Fingerabdruck wird abgeglichen, ob die Identität des Jugendlichen vielleicht schon an anderer Stelle erfasst worden ist. Foto: Gottfried Stoppel

Die Identität von rund 8300 minderjährigen Flüchtlingen in Baden-Württemberg ist noch nicht geklärt. Als erster im Land hat der Rems-Murr-Kreis jetzt eine systematische Nacherfassung der Daten gestartet.

Waiblingen - Als erster Landkreis in Baden-Württemberg hat der Rems-Murr-Kreis mit der systematischen Nacherfassung von sogenannten unbegleiteten minderjährigen Ausländern begonnen. In Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt (LKA) werden seit Mittwoch in den Räumen der früheren Polizeidirektion Waiblingen Namen und Geburtsdaten von jenen jungen Flüchtlingen erhoben, deren Daten bei ihrer Einreise noch nicht festgestellt worden sind, außerdem werden biometrische Fotos gemacht, Fingerabdrücke genommen und gespeichert.

Blaupause für alle Kreise im Land

Die Maßnahme soll nach Möglichkeit als Blaupause für alle Kreise im Land dienen. Andreas Stenger, der Leiter der Kriminaltechnik beim LKA, schätzt, dass es etwa ein halbes Jahr dauern wird, bis alle rund 8300 Jugendlichen, die das Verfahren noch nicht durchlaufen haben, erkennungsdienstlich behandelt worden sind.

In einem Aufenthaltsraum im dritten Stock des Polizeigebäudes am Alten Postplatz sitzt ein halbes Dutzend Jugendlicher unterschiedlicher Nationalität mit einer Betreuerin des Kreisjugendamts zusammen. Auf den Tischen stehen Getränke, Gummibärchen und Obst bereit, ein drahtloser Internetzugang ist freigeschaltet, über eine Leinwand flimmert ein Dokumentarfilm über „Wunder der Erde“. Die Stimmung scheint, den Umständen entsprechend, gut. „Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass die Maßnahme so einfach und harmonisch abläuft wie möglich“, sagt Peter Hönle, der Leiter des Führungs- und Einsatzstabs im Polizeipräsidium Aalen, das auch für den Rems-Murr-Kreis zuständig ist. Man wolle den Jugendlichen den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten und ein positives Bild von der hiesigen Polizei vermitteln, betont Hönle.

Nötige Technik bei der Polizei

Dass die Identitätsfeststellung, die eigentlich eine ausländerrechtliche Maßnahme ist, bei den Ordnungshütern vorgenommen wird, habe den Grund, dass diese über die nötige technische Infrastruktur verfügten, sagt der Rems-Murr-Landrat Richard Sigel. Insbesondere sei so auch ein schneller Datenabgleich möglich, der zeige, ob die Flüchtlinge nicht schon an anderer Stelle erfasst worden sind. Dass die nachträgliche Registrierung überhaupt nötig ist – im Rems-Murr-Kreis müssen immerhin mehr als hundert der zurzeit insgesamt 285 jugendlichen Flüchtlinge noch erfasst werden –, sei auch dem großen Asylbewerber-Ansturm zum Ende des vorvergangenen und Anfang des vergangenen Jahres geschuldet, mit dem die Behörden sicherlich ein Stück überfordert gewesen waren.

Eine andere Gruppe ist in einem größeren Raum bereits mitten drin im Verfahren. „Mit Deutsch, ein bisschen Englisch, Französisch und ansonsten Händen und Füßen“ verständigen sich ein Spezialist des LKA und eine Mitarbeiterin des Landratsamts mit einem Jugendlichen, der bereitwillig Auskunft gibt und den Daumen auf einen Scanner legt. Sein syrischer Pass wird derweil von einem Dokumentensachverständigen begutachtet.

Minderjährige haben automatisch ein Bleiberecht

„Es geht hier nicht in erster Linie darum, irgendwelche Auffälligkeiten festzustellen, sondern darum, eine entstandene Lücke in der ganz normalen Registrierung zu schließen“, sagt Peter Hönle. Denn längst nicht alle unbegleiteten Flüchtlinge seien in ein Asylbewerberverfahren eingespeist. Als Minderjährige haben Kinder und Jugendliche auch ohne Asylantrag ein Bleiberecht und werden in die Obhut der Jugendämter unterstellt.

Dennoch habe der Staat ein Recht darauf, ihre Identität festzustellen, sagt nicht nur der Polizist Peter Hönle. „Wir tragen Sorge und Verantwortung für sie“, sagt Landrat Richard Sigel, „daraus ergibt sich aber auch der Anspruch, dass wir wissen wollen, mit wem wir es zu tun haben.“

Unbegleitete junge Flüchtlinge

Unterbringung
Unbegleitete junge Flüchtlinge werden in Heimen, Wohngruppen oder Pflegefamilien untergebracht oder wohnen allein. Viele haben nach Angaben des Bundesfachverbandes Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge keinen festen Aufenthaltsstatus, sondern leben mit einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland. Abgeschoben werden sie selten.

Herkunft
Ein Großteil der Jugendlichen, die im Behördenjargon UMF (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) oder UMA (unbegleitete minderjährige Ausländer) genannt werden, stammt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Etwa 90 Prozent von ihnen sind männlich. Seit 2015 werden sie nach einem Quotenschlüssel auf die Bundesländer verteilt.