So sah ein typisches Jugendzimmer in den 1970er Jahren aus (oben). Dort stand ein Plattenspieler für Vinylscheiben, die Kopfhörer waren nur für ein Ohr. Buttons mit politischen Bekenntnissen waren der gängige Schmuck in dieser Zeit (unten). Foto: factum/Bach

Eine neue Ausstellung im Sindelfinger Stadtmuseum den Aufbruch der Jugend in den 1970er Jahren.

Sindelfingen - Es war eine unerhörte Provokation für die braven Bürger und die Mitarbeiter der Sindelfinger Stadtverwaltung, als am 29. April 1970 langhaarige Jugendliche vor dem nagelneuen Rathaus skandierten: „Arthur, rück die Schlüssel raus.“ Gemeint war Arthur Gruber, der damalige Oberbürgermeister der Stadt. Und den Schlüssel forderten die jungen Sindelfinger – zumeist Schüler – für das versprochene Jugendhaus, dessen Umsetzung nicht voranschritt.

„Das war ein gewaltiger Aufruhr damals in der Stadt“, erinnert sich Ilja Widmann. Die Leiterin des Stadtmuseums ist damals zwar selbst nicht dabei gewesen, sie hat aber umfangreich in Archiven und alten Zeitungsartikeln recherchiert. Ausgegraben hat sie die Geschichte der Jugend in den 1970er Jahren. Und die war auch in Sindelfingen die des Aufbruchs einer ganzen Generation.

Roland Emmerich hat ein Porträt gezeichnet, das jetzt im Museum hängt

Die Sammlung von Manfred Zöller, der bis vor einem Jahr das Café Paletti am Rathausplatz betrieben hat, das dann dem neuen Jugendtreff weichen musste, war der Auslöser für die Recherche, die nun in eine Ausstellung im Stadtmuseum mündet. Denn auch Zöller war einer der Akteure der 1970er, und er vermachte dem Museum Exponate aus dieser Zeit. Darunter ist ein Porträt, das der Hollywood-Regisseur Roland Emmerich, der aus Sindelfingen stammt, einst von Zöller gezeichnet hat. Auch Emmerich bewegte sich damals in der lokalen Jugendszene. Gerahmt hat Zöller das Bild mit einem Klodeckel – im Paletti hing es passend auf der Toilette.

Auch viele Fotos aus der damaligen Zeit hat er dem Museum vermacht, vor allem von lokalen Bands wie Wanted, die sich damals gründeten. Die Band gibt es noch immer, jetzt unter dem Namen „If you wanted to“, und sie wird am Samstag zur Eröffnung der Schau im Stadtmuseum spielen.

Zwei große Themen beherrschten den Aufbruch der Jugend in Sindelfingen: Neben dem Kampf um ein selbst verwaltetes Jugendzentrum war es vor allem die Musik. Das Aktionskomitee Jugendhaus schaffte es, international bekannte Bands wie Status quo, Fleetwood Mac oder Deep Purple für Konzerte im kleinen Sindelfingen in der neu eröffneten Ausstellungshalle – der heutigen Klosterseehalle – zu gewinnen. Für zwei Jahre wurde Sindelfingen zum Mekka der Rockfans in der Region. Denn nach Ausschreitungen bei Konzerten in der Stuttgarter Liederhalle und der Böblinger Sporthalle zogen sich die kommerziellen Konzertveranstalter zurück. Die Musikfans pilgerten nach Sindelfingen zu den Konzerten, die von minderjährigen Jugendlichen für einen Eintritt von drei bis vier Mark organisiert wurden. „Bis zu 3000 Leute sollen die Veranstaltungen besucht haben, doppelt so viele, wie in die Halle durften“, berichtet Widmann.

Viele Bürger haben Erinnerungsstücke beigesteuert

Viele Sindelfinger haben mit Exponaten zur Ausstellung beigetragen: Vinylplatten, kritische Schülerzeitungen, Fotos der legendären Konzerte und aus der Anfangszeit im Jugendhaus, in dem sich Friedensaktivisten und Frauengruppen tummelten. Es finden sich typische Accessoires dieser Zeit: die lila Latzhose und Clogs, wallende indische Gewänder und Räucherstäbchen.

Zeitzeugen wie der Lokaljournalist Peter Bausch, der damals zur Jugendszene gehörte, oder Manfred Stolz, der die große Schülerdemo organisiert hat, erzählen in Video-Interviews, wie sie die Zeit erlebt haben und wie diese sie geprägt hat.