In der Südwestbank zu sehen: Jürgen Leipperts Landschaftsbild „Noordwijk“ Foto: swb

Als Jürgen Leippert 2004 den neuen Berliner Ehrenbürger Heinz Berggruen porträtierte, war das Bildnis nirgendwo in Stuttgart zu sehen. Jetzt, 70 Jahre alt geworden, soll das dem Stuttgarter Maler nicht passieren. Auf drei Orte verteilt sich die Ausstellung „Expressiver Realismus“, die Aufmerksamkeit auf „Bilder aus 40 Jahren“ richtet und mit mehr als 100 Arbeiten einen satten Überblick gewährt.

Zum Stadtgespräch wurde Jürgen Leippert 2004, als er Heinz Berggruen porträtierte. Den Anlass dazu lieferte die Ernennung des Kunstsammlers, Stifters und Mäzens zum Berliner Ehrenbürger. In allen Berliner Zeitungen sei das für die Galerie der Ehrenbürger bestimmte Bildnis zu sehen gewesen, in Stuttgart aber nicht: Da war „nix zu sehen – nix zu lesen“, erinnert sich der 1944 geborene Stuttgarter. Jetzt, 70 Jahre alt geworden, soll ihm das nicht passieren. Auf drei Orte verteilt sich nämlich eine von Maier & Co. Fine Art betreute Schau, die unter der Rubrik „Expressiver Realismus“ die Aufmerksamkeit auf „Bilder aus 40 Jahren“ richtet und mit mehr als 100 Arbeiten einen satten Überblick gewährt.

Porträts malt Leippert stets in Gegenwart des Porträtierten. Nur so sei „Zeit, um die Persönlichkeit zu erfassen. (. . .) Sonst könnte ich ja nach einem Foto malen. Aber das wird nichts. Da fehlt der Geist. Die direkte Auseinandersetzung. Über Stunden. Erst dann kann ich den Charakter riechen. (. . .) Letztlich geht es um die Wirklichkeit – und nicht um die Oberfläche –, und das gilt nicht nur für die Porträts.“

Dieses Credo, das der Künstler im Gespräch mit Thomas Maier formuliert, erklärt wie nebenbei, warum die Warnung Alfred Lehmanns, bei dem er als 18-Jähriger Privatstunden nahm, kein bisschen übertrieben war. „Wenn Sie Maler werden wollen, müssen Sie bereit sein, zur Not auch den Kitt aus den Fenstern zu fressen.“

Dabei ist Leippert ein gefragter Porträtist. „Hunderte“, schätzt er, hätten ihm gesessen, und fast alle seien zufrieden gewesen. Leider sieht man im Stuttgarter Rathaus davon kaum Beispiele. Dafür zwei Selbstbildnisse: Eines zeigt den 20-Jährigen 1964 vor einer Bücherwand. Das andere, „Selbst am Strand von Noordwijk“, ist erst zwei Jahre alt.

Zeitlebens hat sich Leippert aber unter Menschen gemischt. Er ist ein Szenegänger. Dass er mittendrin in der Stuttgarter Altstadt wohnt, in der Leonhardstraße, ist so wenig Zufall, wie dass er unzählige Male in New York gelebt und dort gemalt hat, im „Herz der Welt“. Auch Paris, Berlin, Amsterdam, Wien oder Rio de Janeiro habe er „geradezu inhaliert“. Doch nichts komme an das „Eintauchen in das geile Neongewimmel“ New Yorks heran.

„Mit der transportablen Staffelei in Brooklyn, mittendrin im tosenden Straßenverkehr von Manhattan (. . .) oder im Gewühle der Bars . . .“ Da stellt sich „das Konzentrierte im Rauschhaften“ ein. Und so gelingt ein Bild wie „Billys Topless Bar, New York“ von 1996: „Keine späteren Änderungen: Die versauen alles.“

Nicht anders entstehen auch Aktstudien, freche Einfälle wie „Tante Julie und ihr Neffe“ oder Porträtskizzen wie „Rita“. Leippert malt alles: eine „Lobby“, das „Café Sperl Wien“, die „Fette Ecke“ in Berlin, das „Wasen“-Gewimmel in Cannstatt, den Blick in die Röhre vom „Schwabtunnel“, den „Blick auf Stuttgart (vom Haigst aus)“ und auf andere Städte mehr. Manchmal nimmt sich der Maler eine Arbeit dann doch immer wieder vor, über Jahre hinweg. Dann bildet die sowieso pastos aufgetragene Farbe eine körnige Kruste wie bei der „Nachtausgabe“ oder bei „Die große Serviererin“. Und der Betrachter muss, was gemeint ist, regelrecht dechiffrieren. Von Reduktion und Abstraktion spricht der Künstler, der am „Gegenstand“ aus Überzeugung immer festgehalten hat und „das Gedachte“, „das Unbekannte“ oder nur Geträumte als Quelle von Kunst verschmäht.

Dass Leippert alsbald als Traditionalist und gestrig abgestempelt worden ist, kam da nicht unerwartet. Als er 1973 zusammen mit Horst Landsperger und Klaus Goy im Kunsthaus Fischinger debütierte, sah Manfred Pahl Entsprechendes kommen, als er schrieb: „Alle drei haben in voller Kenntnis (. . .) der sogenannten Moderne ihre Entscheidung für etwas getroffen, das kaum mit Verständnis oder gar der Förderung des Managements im Kunstbetrieb rechnen konnte.“ Dem streitbaren Pahl, der sich 1974 in Mainhardt selbst ein Museum baute, ging es ja nicht anders. Mit Wilhelm Geyer, Gustav Schopf, Manfred Henninger und Alfred Wais und vielen anderen gehörte er zur „verschollenen Generation“ (Rainer Zimmermann), die von den Nazis verfolgt worden war, dem „Mainstream“ nach 1945 nicht folgte und deshalb missachtet blieb. „So gesehen bin ich“, sagt Jürgen Leippert heute, „‚ein verschollener Maler der zweiten Generation‘ und weitgehend ignoriert.“ Aber egal: „Ich habe ein Leben lang wider den ‚Zeitgeist‘ angemalt – ich kann nicht anders.“

Rathaus Stuttgart, Foyer, 3. OG, Marktplatz. Bis 9. Oktober. Maier & Co. Fine Art, Showroom, Eberhardstraße 6. Bis 27. Oktober. Südwestbank AG, Rotebühlstraße 125. Bis 23. Oktober.