Für Jürgen Klauke muss Kunst „immer auch ein Stück Irritation“ bieten – am Dienstag war der Kölner Fotokünstler und Zeichner zu Gast in unserer Reihe „Über Kunst“ Foto: Frank Kleinbach

Der Künstler in seiner Bilderwelt: Jürgen Klauke ist bei seinem Gastspiel in der Veranstaltungsreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Stuttgart von Arbeiten aus seinem Werkzyklus „Ästhetische Paranoia“ umgeben.

Stuttgart - Jürgen Klauke ist Pionier. 1943 geboren, macht er seit den frühen 1970er Jahren den Körper zum künstlerischen Thema. Provokant und radikal stellte er die Frage nach Identität und Sexualität – ein Zusammenhang, der nahezu zeitgleich auch von Künstlern in den USA thematisiert wurde. Der jüngst verstorbene Musiker Lou Reed setzte sich auf dem Cover seines bekanntesten Albums „Transformer“ auf eine Weise in Szene, die deutliche Parallelen erkennen lässt.

Gibt es etwas Verbindendes in diesem Aufbruch?, fragt Nikolai B. Forstbauer, Kulturressortleiter unserer Zeitung, zum Auftakt des „Über Kunst“-Abends. Jürgen Klauke erzählt von der „bleiernen Zeit“ der 1960er Jahre in Deutschland, einer Zeit, die noch geprägt gewesen sei von der Sprachlosigkeit und den selbst auferlegten Tabus der Nachkriegszeit. Die politische Unruhe jener Zeit machte vor den Kunsthochschulen nicht halt, auch Klauke nahm ihre Impulse auf: „Entweder“, sagt er rückblickend, „ich musste mich politisieren und die Kunst ad acta legen, oder ich musste diese Dinge in meine Kunst überführen“.

Die Trennung von Kunst und Leben wurde für ihn hinfällig, das „exzessive, experimentelle Leben“ zur Antwort auf die „dekorative Abstraktion“, die vorherrschte. Die US-amerikanische Gegenkultur und die französische Nouvelle Vague dienten als Vorbilder: Klauke nennt Filmemacher wie Jean-Luc Godard, Kenneth Anger, Jack Smith. Anregungen holte er sich auch bei Georges Battaile, Pierre Klossowski, Ferdinand Celine und Jean Genet. Und er experimentierte. „Das geschah zunächst spielerisch“, sagt Klauke, „es war ein freundliches Üben mit weiblichen Accessoires. Ich schminkte mich, malte meine Lippen an, wollte Schuhe mit hohen Absätzen tragen.“ Letzteres erwies sich zu jener Zeit als schwieriger als gedacht: Die Schuhe passten nicht. Von einer Schuhhändlerin holte sich Klauke kompetenten weiblichen Rat: „Pissen Sie mal in den Schuh hinein.“

Niemals, sagt Jürgen Klauke rückblickend, habe er Provokation um der Provokation willen betrieben – immer sei sein Vorgehen spielerisch gewesen, anarchisch: „Wenn Sie gegen das verordnete Leben angehen, müssen Sie eben mit Provokationen arbeiten.“ Zunächst dokumentierte er seine Aktionen mit der Polaroid-Kamera. „Ich habe nach Formen gesucht, die zu diesem Tempo passten“, sagt er. Vom Polaroid nahm er 1973 Abschied, ein Einschnitt in seinem Werk: „Mir schien das nun reichlich subjektiv zu sein. Ich suchte nach Objektivierungsmöglichkeiten.“

Und so erarbeitete Klauke seine als Bilder zu verstehenden Fotos fortan in einem Studio. Vorbereitet werden die Werke durch Zeichnungen und Gouachen, in der präziseren Annäherung dann durch Skizzen, die den Storyboards in der Filmproduktion ähneln.

Klauke lebt in Köln, das Düsseldorfer Fotostudio, in dem er seine Konzepte umsetzt, bietet ihm die Möglichkeit, seine Ensembles zu realiseren. „Der Fotograf“, sagt er, „drückt auf den Auslöser, alles andere ist bis dahin schon vorbereitet“ – aber nicht abgeschlossen: Wie der britische Maler Francis Bacon will sich Klauke den Zufall in der Kunst nutzbar machen. Sobald etwas schiefgeht, sagt er, hat sein Fotograf eine klare Anweisung: „Draufhalten!“

Jürgen Klaukes Ansatz scheint sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt zu haben, von den provokanten Fragestellungen der frühen 1970er Jahre hin zu einem „Nachdenken über die Unzulänglichkeiten des Lebens“, einer „Ästhetisierung des Existenziellen“. Persönliches Begehren, der Konflikt mit sich selbst, Literatur und Musik – dies, sagt er, seien die Themen, die ihn nach wie vor interessierten: „Dem jage ich hinterher“. Die Ergebnisse, zu denen er kommt, sind nach wie vor geeignet zu polarisieren. Als „Tabujäger“ sieht Klauke sich aber nicht – obwohl er auch mit der Langweile ein gesellschaftliches Tabu fand, mit dem er sich beschäftigte.

Nach zehn Jahren des exzessiven, experimentellen Lebens, das „alles toxisch Erreichbare“ mit einschloss, stürzte er zu Beginn der 1980er Jahre ins Loch von Langeweile, Melancholie und Depression: „Die Zeit“, sagt er, „verklumpte um mich herum.“ Aber wie bereits zehn Jahre zuvor machte er das Leben zum Thema seiner Kunst und entdeckte dabei eine Schattenseite, über die geschwiegen wurde. Melancholie, Leere als Thema, das fand Jürgen Klauke allenfalls bei Edward Hopper, bei dem sich die Theken der amerikanischen Bars so endlos zu strecken scheinen wie die Zeit. „Irgendwann hatte ich die Idee, diese Sache in meine Kunst hineinzutransportieren.“

Die von 1980 bis 1981 entstandene Werkgruppe „Formalisierung der Langeweile“ zeigt den Künstler beispielsweise mit Stuhl und Eimer auf dem Kopf. Wichtiger als die Provokation wurde nun dieser ins Tragikomische gleitende Blick für ihn: „Ich versuche, melancholische Bilder mit Ironie zu bearbeiten und dabei niemals zynisch zu werden oder zu belehren.“ Ein Beispiel für dieses Programm entdeckt man in der aktuellen Klauke-Präsentation der Galerie Klaus Gerrit Friese: Fotografien, auf denen Klauke eine große, erloschene Glühbirne als Genital zwischen den Beinen baumelt. Interessiert ihn die Melancholie des Clowns?, fragt Forstbauer – und Klauke winkt ab. Nein, sagt er, Clowns seien selten in das Dorf an der Mosel gekommen, in dem er aufwuchs. Die Kindheit aber, was von ihr geblieben ist, in „Restespeichern“, als Erinnerungsfetzen, war für ihn immer von großer Bedeutung.

In jüngeren Arbeiten ist Klauke zu Themen seines Frühwerks zurückgekehrt, wieder zeigt er das „Fleisch“, jedoch mit veränderten Vorzeichen: Seine allgegenwärtige Zurschaustellung steht für ihn nur noch für den Identitätsverlust. Zu den Hochglanzbildern in Modezeitschriften sagt Klauke: „Das sind doch keine Menschen mehr“ – und fotografiert im Schlachthof oder lässt sich, als menschliches Gepäckstück, auf dem Flughafen durch einen Kofferschacht ziehen. Kunst, darauf will er nach wie vor beharren, sollte das Nervensystem irritieren: „Schönheit allein reicht nicht, dabei könnte man es an und für sich belassen.“

Von 1993 bis 2008 war Klauke Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Hat sich aus seiner Sicht die Haltung der Studierenden in dieser Zeit verändert? „Junge Künstler“, sagt Jürgen Klauke, „sind heute konfrontiert mit dem Markt und sehen die Kunst vor allem als einen Beruf an.“ Nicht ganz ohne Melancholie im Ton ergänzt er: „Wir sind damals noch mit viel romantischeren Vorstellungen in eine Kunstschule gegangen.“